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Das letzte Opfer (German Edition)

Das letzte Opfer (German Edition)

Titel: Das letzte Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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brauchte er einige Tage. Er musste sich irgendwo einquartieren, in einem Hotel, einer Pension. Oder er verfügte über ein Fahrzeug, in dem er bequem nächtigen und sein Äußeres pflegen konnte. Vielleicht besaß er ein Wohnmobil. Dieser Variante gab Kirby den Vorzug, es bedeutete Flexibilität und Unabhängigkeit. Und Campingplätze, auf denen so ein Wagen keinen Argwohn erregte, lagen meist in Erholungsgebieten. Dort boten sich ideale Bedingungen. Bei Tag fiel ein Wanderer nicht auf. Bei Nacht konnte er ungestört graben und dabei seine Phantasien und Machtgefühle genießen, Herr über Leben und Tod einer Frau, von der er zu diesem Zeitpunkt vermutlich nur die Stimme kannte.
    Die Opferwahl nach Kleinanzeigen oder Artikeln wie bei Silvia Lenz war risikolos. Man kaufte vor Ort eine Zeitung, wählte aus, nannte einen falschen Namen, klärte alles ab und musste persönlich erst in Erscheinung treten, wenn der große Tag kam.
    «Bei Schneider und Roberts muss er vorher in Erscheinung getreten sein», unterbrach er Kirbys Ausführungen.
    Kirby wurde nachdenklich, vergewisserte sich: «Aber Lenz hatte ihren vermeintlichen Informanten vorher nicht gesehen?»
    «So viel ich weiß, nicht», sagte er.
    Kirby nickte versonnen, fächerte die Fotos der Frauen auseinander. «Wie die erste aussah, wissen wir nicht, aber sie war zweifellos eine Schönheit. Brandow hat er vermutlich im Schnellimbiss gesehen, wobei er auch gesehen wurde. Er wusste, dass er ein großes Risiko einging, wenn er so weitermachte. Dann las er Karpelings Anzeige und kam auf die scheinbar grandiose Idee mit den Zeitungen, die aber einen Haken hat. Bei Karpeling und Lenz hatte er Glück, beide waren Schönheiten. Bei Schneider hat er sich davon lieber überzeugt, und dafür muss es einen Grund geben. Die Lücke!»
    Alles, was Scheib bezüglich des September 1990 in Betracht gezogen hatte, verneinte Kirby. Kein Aussetzer. Wer ohnehin nur alle zwei Jahre seinem Drang nachgab, leistete sich nicht noch eine Pause dazwischen. Auch kein Gefängnisaufenthalt. «Er hat noch nie gesessen», sagte Kirby mit einer Bestimmtheit, als kenne er den Mörder seit langem. «Vergiss den üblichen Werdegang eines Triebtäters. Er ist nicht triebgesteuert. Er hat nie mit Feuer gespielt. Feuer vernichtet wahllos, er will Kontrolle, und er ist stolz. An einer Obdachlosen oder sonst einer Randexistenz, deren Verbleib niemand kümmerte, hätte er sich nie vergriffen. Das wäre unter seiner Würde. Was gibt es da auch noch zu vernichten? Es muss 1990 eine junge Frau aus geordneten Verhältnissen gewesen sein. Und da sie nicht vermisst wird, ist sie ihm wahrscheinlich entkommen.»
    Bis dahin hatte Thomas Scheib ihm die Worte förmlich von den Lippen gefressen. Aber das konnte er sich nicht vorstellen, Verbrechensopfer, die entkamen, erstatteten Anzeige. «Vorausgesetzt, sie fühlten sich bedroht», hielt Kirby dagegen. «Wenn er gestört wurde zu einem Zeitpunkt, als sie noch keine Gefahr für sich sah, was sollte sie zur Anzeige bringen? Denk an Roberts, wie sie neben ihm ging. Sie unterhielten sich gut. Als sie in seinen Wagen stieg, wähnte sie sich auf dem Weg nach Hollywood. Und nun stell dir vor, sie wären in eine Verkehrskontrolle geraten oder in einen Unfall verwickelt worden. Was hättest du anschließend getan an seiner Stelle?»
    Die Antwort erübrigte sich, Kirby gab sie dennoch, den nächsten Rastplatz angesteuert und zugesehen, dass er Julia Roberts wieder los wurde. Lieber eine enttäuschte Frau, als eine, an deren Begleiter sich ein Polizist erinnerte, wenn sie vermisst wurde. Und es gab noch eine Möglichkeit. Wer seine Opfer nach Zeitungsinseraten kontaktierte, musste nehmen, was kam. Vielleicht war die junge Dame 1990 nicht nach seinem Geschmack gewesen, sodass er sie laufen ließ und sich entschloss, beim nächsten Mal wieder nach persönlichem Augenschein zu wählen. «Gnade bei Nichtgefallen», sagte Kirby und kam auf Julia Roberts zurück.
    Bei ihr war der Mörder scheinbar leichtsinnig geworden, wagte sich in ihr Zimmer, hinterließ die Visitenkarte, mit der er sie vermutlich geködert hatte, deponierte den Zigarettenstummel. Aber mit Leichtsinn hatte das nichts zu tun. Der Mörder wusste, dass um die Zeit keine von Julias Mitbewohnerinnen zu Hause war. Mit einer zufälligen Begegnung bei der Haustür rechnete er nicht, und selbst wenn er so etwas einkalkulierte, sah er darin keine allzu große Gefahr für sich. Er war weit weg von seinem gewohnten Umfeld.

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