Das letzte Opfer (German Edition)
Rückstände von Schlamm sichergestellt. Am Hinterkopf und im Genick gab es Hämatome, verursacht von einem Sportschuh mit Profilsohle. Sabine Bergholt war mit dem Gesicht in eine schlammige Pfütze gedrückt, vielmehr getreten worden. Pfützen gab es auf dem Wirtschaftsweg mehr als genug. Alle weiteren Misshandlungen und das Umlegen des Gürtels hatten postmortal stattgefunden.
Die Übereinstimmungen mit dem Tod Anja Heckels waren für Scheib offenkundig. Auch wenn es bei der Neunzehnjährigen aus Blankenheim längst nicht dieses Ausmaß an Gewalt gegeben hatte. Nach allen Erfahrungen kam es im Verlauf einer Tötungsserie immer zu Steigerungen. Und die Überreste von Elisabeth Brandow waren neun Jahre zuvor ebenfalls im Spessart entdeckt worden – nur etwa zwanzig Kilometer Luftlinie von der Fundstelle Bergholt entfernt.
Thomas Scheib sah sich auf der ganzen Linie bestätigt. Er fuhr nach Frankfurt, auch in den Spessart. Zurück kam er mit Fotos und Kopien von ein paar Berichten, die immerhin hatte man ihm überlassen. Er war so frustriert wie nie zuvor.
Niemand war bereit, sich seiner Meinung anzuschließen. Eine Prostituierte, noch dazu eine, der man auf den ersten Blick ansah, dass nicht beide Elternteile Mitteleuropäer waren, entsprach nach Wagenbachs Ansicht absolut nicht dem bisherigen Opfertyp. Wenn die vermissten Frauen überhaupt als Opfer bezeichnet werden durften, ein Punkt, den der Kriminalpsychologe noch nicht als erwiesen ansah. Sabine Bergholt jedenfalls hatte einer Risikogruppe angehört. Die Frankfurter Kripo suchte den letzten Kunden, ermittelte im Rotlichtmilieu und wollte sich von einem BKA-Beamten, den niemand um seine Meinung gebeten hatte, nicht einreden lassen, dass sie dort ihre Zeit verschwendeten.
Scheib investierte noch drei freie Tage, flog mit Fotos und Berichten nach Quantico. Kirby schaute sich alles an, ließ sich die Fundsituation erläutern und vortragen, was Spurensicherung und Obduktion ergeben hatten. Selbst lesen konnte er die in deutscher Sprache abgefassten Berichte nicht, doch er bestätigte Scheib in jeder Hinsicht.
Natürlich war Sabine Bergholt ein Callgirl und die Tochter einer Farbigen gewesen, aber auch eine sehr schöne, gepflegte, kluge und kultivierte junge Frau, keine, die man auf dem Straßenstrich abfing. Ihr Vater war Oberstudienrat und ihr Mörder ein Mann mit Erfahrung. Nach einer Ouvertüre sah die Beseitigung der Leiche für Kirby wahrhaftig nicht aus.
Den Mörder im Rotlichtmilieu zu suchen, hielt der FBI-Profiler jedoch nicht für pure Zeitverschwendung. Selbstverständlich war Sabine Bergholts letzter Kunde ihr Mörder gewesen. Kirby tippte auf den Mann, der Wert auf eine ausgiebige Knutscherei im Dunkeln gelegt hatte – mit der eigenen Schwester. «Weibliche Geschwister», erinnerte er. «Und er durfte nicht so mit ihnen spielen, wie er wollte. Jetzt spielt er mit anderen.»
Kirby nannte es einen Overkill. Zuerst ein heftiger Schlag in den Oberbauch oder das Genick, der sie bewegungsunfähig machte. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, lag sie mit dem Gesicht in einem schlammigen Tümpel oder einer Pfütze, wurde ertränkt, erstickt, erschlagen und noch erdrosselt, obwohl sie längst tot war. Das war ein unbändiger Hass, den der Mörder sich allerdings erst gestattete, wenn das Opfer zu keiner Gegenwehr mehr fähig war. Ihm lag nichts an Todesangst. Er legte keinen Wert auf Stöhnen, Schreien oder Betteln um das Leben, degradierte sein Opfer zu einem Ding, wollte nur totale Macht, absolute Vernichtung, sich durch nichts und niemanden ablenken oder stören lassen, nicht einmal vom Opfer selbst.
Aber jetzt gab es einen Hoffnungsfunken. «Mit etwas Glück bleibt er bei dieser Berufsgruppe», meinte Kirby. «Da muss er seine kostbare Zeit nicht mit sinnlosem Vorgeplänkel verschwenden und kommt in jeder Hinsicht auf seine Kosten. Edelnutten sind in der Regel attraktiv und auch bereit, ausgefallene Wünsche zu erfüllen. Viele von ihnen inserieren. Jetzt hast du zwei Jahre, die Damen vorzuwarnen, was ihnen bevorsteht, wenn sie an diesen Kunden geraten.»
Trotz seiner Frustration war Scheib zuversichtlich, als er zurückkam. Wenn Kirbys Prognose sich bewahrheitete und der Mörder auch sein nächstes Opfer aus einer bestimmten Sorte von Zeitungsannoncen suchte, sah er Möglichkeiten. Leider kümmerte sich das Phantom nicht um die Hoffnung eines Polizisten. Der nächste Name, den Scheib auf seine Liste setzen musste, war der einer jungen Mutter.
Weitere Kostenlose Bücher