Das letzte Opfer (German Edition)
Kleinkind, blieb auf seinen Vater fixiert. Marko gehorchte er immer, ihr nur, wenn Marko in der Nähe war oder sie drohte, ihn zu rufen. Doch damit konnte sie leben.
Waltraud
Im September 1998, als Karens häusliche Situation sich allmählich entspannte, verschwand Waltraud Habel aus Kellinghusen in Schleswig-Holstein. Für Thomas Scheib war es ein großer Schock. Er hatte seit Jahresbeginn alles getan, was in seiner Macht stand, um einen weiteren Mord zu verhindern. Hilfsorganisationen, die im Prostituiertenmilieu tätig waren, ebenso informiert wie die Sittendezernate in allen Großstädten. Der gefährdete Personenkreis schien nach dem Tod von Sabine Bergholt relativ klein. Straßenstrich und Bordelle konnte man ausklammern. Man sollte sich auf einschlägige Inserate konzentrieren und die Frauen warnen. Bei verdächtigen Kontakten hätte man sogar einen Lockvogel einsetzen und das Phantom in eine Falle locken können. Alles umsonst.
Waltraud Habel war eine fünfundzwanzigjährige Hausfrau und Mutter einer zweijährigen Tochter, die nur das Familieneinkommen mit einem kleinen Zusatzverdienst aufstocken wollte. Ihr Mann war Angehöriger der Bundeswehr. Waltraud hatte vor der Geburt ihres Kindes bei einem Verlag gearbeitet und in diesem Bereich eine Tätigkeit gesucht, die sie in ihrer Wohnung ausüben konnte, ein Außenlektorat oder Korrekturlesen.
Nachdem sie etliche Wochen lang erfolglos herumtelefoniert hatte, annoncierte sie im Mai 1998 in einer Fachzeitschrift, die nur in Verlagen und im Buchhandel vertrieben wurde, ebenso erfolglos, wie es schien. Erst Anfang September habe jemand wegen dieser Annonce angerufen, gab ihr Mann zu Protokoll, als er sie vermisst meldete. Angeblich ein Kleinverleger aus Koblenz, der gerade im Norden zu tun gehabt und sich erkundigt hatte, ob Waltraud Habel immer noch auf Arbeitssuche sei.
Der Kleinverleger wollte einen Haushaltsratgeber mit nützlichen Tipps aus Großmutters Zeiten herausbringen und suchte eine junge Frau, die seine gesammelten Ratschläge auf Brauchbarkeit prüfte und alphabetisch ordnete. Er schlug ein Café in Lübeck als Treffpunkt vor, Erkennungszeichen die Fachzeitschrift. Waltraud Habel wurde in diesem Café gesehen. Einen Mann in ihrer Nähe bemerkte niemand. Eine Bedienung erinnerte sich, dass Waltraud Habel fast eine Dreiviertelstunde vor einem Tee saß, den sie sofort bezahlt hatte, dass sie plötzlich aufstand und ins Freie ging, als habe sie von draußen ein Zeichen bekommen.
Das Auto ihres Mannes, mit dem sie nach Lübeck gefahren war, stand am Abend noch auf einem Parkplatz in der Nähe des Cafés. Von Waltraud Habel fehlte jede Spur. Nach dem vermeintlichen Kleinverleger forschten die Ermittler nicht völlig vergebens. Er lag seit fünfzehn Jahren auf einem Friedhof in Koblenz, war an Herzschwäche gestorben im Alter von achtundsechzig Jahren.
Scheib wurde binnen weniger Tage informiert, in Lübeck lachte niemand mehr über seine Theorie. Einige erinnerten sich noch daran, wie er 1993 nach Marion Schneiders Kontakten geforscht hatte. Auch in Wiesbaden gerieten ein paar Leute ins Grübeln. Er wurde sofort freigestellt, um die Kollegen in Norddeutschland zu unterstützen. Für drei Tage fuhr er hin und war furchtbar deprimiert, als er zurückkam. Keine Spur, keinen Hinweis, keine Chance.
«Dieser Kerl ist wirklich ein Phantom», sagte er zu seiner Frau. «Geister sind nicht zu fassen. Man steht besser da, wenn man ihre Existenz leugnet. Wagenbach weiß das, ich sollte es auch endlich begreifen.»
Es hatte in den vergangenen sechs Jahren viele Tage gegeben, an denen sie diesen Moment der Einsicht herbeigesehnt hatte, doch nicht so, wie er nun kam.
«Irgendwann macht er einen Fehler», sagte sie. «Jeder, der sich für perfekt hält, wird mit der Zeit überheblich und bildet sich ein, er hätte alles im Griff. Vielleicht musst du noch zwei oder drei Namen auf die Liste setzen. Aber irgendwann wird er gefasst, da bin ich sicher.»
«Ich nicht», erwiderte er. «Und sonst auch keiner. Sie geben ja nicht einmal offen zu, dass sie an ihn glauben.»
«Aber sie haben dich doch eigens angefordert», sagte sie.
Er nickte verbittert. «Ja, weil sie sich an Marion Schneider erinnerten und das Datum passte. Aber jetzt konzentrieren sie sich schon auf den Ehemann. Er hatte frei an dem Nachmittag, sollte das Kind hüten, hat’s in der Nachbarschaft abgegeben und sich das Auto eines Kameraden geborgt. Habel hat eine Affäre. Seine Freundin behauptet, er
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