Das letzte Opfer (German Edition)
die sehr von sich eingenommen waren und zum Film wollten. Aber Julia! Es war so persönlich, es waren vierzehn Tage Herzklopfen, eine Viertelstunde über den Wolken schweben in Romeos Armen, von einer Hand im Nacken aus dem siebten Himmel gerissen, in den Dreck gestoßen. Und einen Mann getötet!
Doktor Gerbers verrückte Ansicht dazu spukte ihr immer noch durch den Kopf. Eifersucht! So ein Quatsch. Nachdem Sarah das Haus verlassen hatte, wollte sie eigentlich weiterschreiben über den Irrtum ihres Therapeuten. Aber zuerst wollte Kevin etwas zu essen, dann rief Marko an, zum ersten Mal an diesem Tag. Er wollte wissen, was ihr angeblicher Termin beim Frauenarzt ergeben hatte.
«Es war blinder Alarm», sagte sie.
«Das habe ich nicht anders erwartet», erwiderte er und schwieg dann. Sie dachte schon, er hätte aufgelegt, weil es so lange still blieb in der Leitung. Endlich sprach er weiter: «Es war nur eine Ausrede, nicht wahr? Du wolltest unbedingt zu Hause bleiben. Warum, aus Angst vor langen Autofahrten? Karen, nach zehn Jahren ist das ein lächerliches Argument.»
Es war seit endlos langer Zeit das erste Mal, dass er sie wieder einmal Karen nannte. «Dann bin ich eben lächerlich», sagte sie ungewollt schroff. «Angst kann man nicht abdrehen wie Wasser. Ich gebe mir Mühe, mehr kann ich nicht tun. Ich habe dich nicht betrogen, ich habe in den letzten Wochen nur ein paar Gespräche mit einem Therapeuten geführt.»
Es dauerte einige Sekunden, ehe Marko ihr darauf antwortete: «Entschuldige, Schatz. Wie konnte ich nur so dumm sein und dich derart terrorisieren mit meinem Misstrauen.»
«Schon in Ordnung», sagte sie. «Ich verstehe das.»
Sie verstand es nicht, aber sie hatte den Kopf noch viel zu voll von Dingen, in denen seine Eifersucht unterging. Den halben Mittwoch versuchte sie am Computer, der keine eigenen und keine falschen Schlüsse zog, nur geduldig aufnahm, was sie ihm anvertraute, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Wozu brauchte sie einen Psychologen? Doktor Gerber konnte sie kreuzweise. Sie konnte das auch alleine, hatte es doch schon einmal geschafft mit ihren bittersüßen Geschichten. Die Stunden in der Praxis des Psychologen waren nicht umsonst gewesen. Sie hatte sich dort etwas gekauft, wusste nur nicht, wie sie es nennen sollte. Wut war der falsche Ausdruck. Es war eher Trotz und Selbstbehauptungswille.
Damit überzeugte sie sich bis zum frühen Mittwochabend selbst wieder vollkommen, dass ihr Bruder ein durch und durch gutmütiger und überaus hilfsbereiter Mensch war, der nur den einen Fehler gemacht hatte, sie allein aus einer Diskothek auf den Heimweg zu schicken. Oder zwei Fehler. Dass er sich im September 1990 geweigert hatte, sie zu fahren, war auch nicht gut gewesen.
Mit Marko hingegen waren noch ein paar Rechnungen offen. Er hatte nicht einmal gefragt, worüber sie mit ihrem Therapeuten gesprochen hatte. Um halb neun rief er an, damit Kevin sich ins Bett bringen ließ. Er versprach ihm eine Belohnung für jeden schönen Traum und wollte das Gespräch danach beenden. «Moment noch», sagte sie. «Interessiert es dich gar nicht, wofür ich einen Therapeuten gebraucht habe?»
«Das hast du mir doch gestern Abend erklärt, Schatz», sagte er. «Um deine Angst zu bewältigen.»
«Nein», sagte sie. «Ich wollte mir nur klar werden über ein paar Dinge, die ich in meinem Leben ändern möchte.»
Marko lachte leise und unsicher, wie es ihr schien. «Du klingst, als sei dir das gelungen. Aber darüber sollten wir in Ruhe reden, wenn ich zurückkomme. So ein Gespräch am Telefon zu führen, halte ich nicht für gut.»
«Ich aber», sagte sie und sprach rasch weiter, ehe der Mut sich wieder verlor. Alles erzählte sie ihm, begann mit Doktor Gerbers Ansicht über sein mangelndes Selbstwertgefühl, kam über den Abend mit Margo zu Rabeas Tod und sein für ihr Empfinden kaltschnäuziges Verhalten, als er die Aufnahmen für Bademoden machte.
«Und jetzt hältst du mich für gefühllos», stellte er fest. «Ach, Schatz, wie soll ich dir das alles erklären? Als ich damals mit dir in der Eifel war, war ich schon heftig verliebt in dich. Aber ich wollte nicht verliebt sein, ich wollte mich nie binden, damit mich niemand mehr verlassen kann. Ich glaubte auch, mich nicht damit auseinander setzen zu können, dass du einen Menschen getötet hattest. Ich sah den alten Mann ja immer noch über die Straße fliegen. Und du warst Norberts Schwester, ich dachte, aus uns kann nie ein Paar werden.
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