Das letzte Opfer (German Edition)
zu ihm passe. Als er ausgestiegen sei, um vom Beifahrersitz wieder hinters Steuer zu wechseln, habe er beobachtet, wie auf dem Parkplatz ein Mann winkend auf Barbara zugekommen sei. Auf die Entfernung und über den Autodächern habe er nicht viel mehr gesehen, als dass dieser Mann mittelgroß und schlank, ungefähr Ende dreißig und dunkelhaarig war und dass er eine schwarze Jacke trug. Barbara und der Dunkelhaarige seien rasch aus seinem Blickfeld verschwunden. Anschließend sei er schweren Herzens in den Alfa gestiegen und wieder zurückgefahren.
Niemand zog auch nur eine Sekunde lang in Betracht, dass ein Fünkchen Wahrheit in dieser Geschichte steckte. Nachdem Leitner Barbara im Wagen gehabt hatte, war sie seiner Besessenheit hilflos ausgeliefert gewesen. Und nun versuchte er, ihr Verschwinden dem großen Unbekannten anzulasten, zielte dabei so offensichtlich auf den inzwischen zwei Monate alten Bericht im Stern ab, dass Weigler Magenschmerzen bekam.
Karen
Während die beiden Ermittler in München von Barbara Lohmanns Freund eine Personenbeschreibung erhielten, die sowohl auf ihren Mann als auch auf ihren Bruder zutraf, saß Karen zum letzten Mal in Doktor Gerbers Praxis. Sie wollte mit ihm über Rabeas Badeunfall und die Folgen für Markos Psyche reden. Aber sie hatte noch nicht ganz im Sessel Platz genommen, da fragte er bereits, ob sie sich seinen Vorschlag überlegt habe und es mit der Hypnose versuchen wollte.
Als sie den Kopf schüttelte, fragte er, wovor sie Angst habe. Und dann erklärte er ihr, wen sie seiner Meinung nach vor zehn Jahren im Bergischen Land gesucht hatte. Er tippte auf den Kunstlehrer, der damals die Theatergruppe geleitet hatte. Den Austauschschüler hatte man ja nie ausfindig machen können, das wusste er von Sarah. Und er meinte, es müsse ein Mann gewesen sein, der eine Menge zu verlieren und ihr sehr viel bedeutet habe.
Sie wollte mit ihm nicht über Jasmins Vater sprechen, aber er blieb hartnäckig beim Thema, bis sie sagte: «Sie irren sich.» Dann erzählte sie ihm stichwortartig von dem Abend im Januar 1988. Gerber hörte aufmerksam zu – und glaubte ihr kein Wort. «Wenn ein fünfzehnjähriges Mädchen die erste sexuelle Erfahrung auf solch eine Weise macht, ist es schwer vorstellbar, dass dieses Mädchen anschließend eine so niedliche Geschichte erfindet», sagte er.
«Irgendwas musste ich erfinden», erwiderte sie. «Eine unbefleckte Empfängnis hätte meine Mutter mir nicht abgenommen.»
Sie erzählte ihm auch noch von dem blasphemischen Bericht in einer Illustrierten, Gottes Sohn vielleicht nur ein Besatzungskind. Darauf ging er nicht ein. Er kam auf ihre unterschiedlichen Gefühle für die Kinder zu sprechen, nahm als Beweis seiner Theorie, dass sie Jasmin vergötterte und in Kevin ein kleines Ungeheuer sah. Das müsse umgekehrt sein, meinte er, wenn Jasmin tatsächlich das Produkt einer traumatischen Erfahrung sein sollte. Kevin wäre immerhin ein Kind der Liebe.
Ob er tatsächlich überzeugt war von dem, was er anschließend von sich gab, oder ob er sie damit nur aus der Reserve locken wollte, war schwer zu sagen. Mit seiner Theorie vom Lehrer, der eine Minderjährige verführt hatte, entlockte er ihr jedenfalls den Hinweis, dass Li Jasmins Vater ebenfalls gekannt hatte, an dem Freitag im September mit ihm verabredet gewesen war. Und dass sie nur losgefahren war, um dieses Treffen zu verhindern.
Danach sah Doktor Gerber völlig klar. Eifersucht! Scheuch doch mal die Enten weg! Sie war die Ente. Eine dumme Gans, die sich einer Freundin anvertraute und diese Freundin dann mit dem Herzallerliebsten erwischte. Die sich Rotz und Wasser heulend ins Auto warf, davonbrauste und den Radfahrer übersah. So etwas musste sie sich doch nicht anhören!
Ihre Stunde war noch lange nicht um. Sie ging trotzdem, bedankte sich nicht für seine Hilfe, erklärte nur, sie sähe keinen Sinn darin, seine Zeit noch länger in Anspruch zu nehmen. Sie war sehr aufgewühlt, fuhr mit der Straßenbahn zur Agentur, holte Kevin ab, ließ sich von Margos Sekretärin ein Taxi rufen, nahm am Hauptbahnhof den nächsten Zug nach Sindorf, rannte förmlich nach Hause, ihren Sohn an einer Hand mit sich zerrend.
Sie stürmte auch sofort die Treppe hinauf, setzte sich an den Computer und füllte die erste Seite nur mit ihrem Zorn auf den Therapeuten, drei weitere mit dem Januarabend 1988, dann kam sie zu Li und dem grausamen Verdacht, der sich mit einigen in der Diskothek aufgeschnappten
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