Das letzte Opfer (German Edition)
Gesprächsfetzen erhärtet hatte.
Unterschwellig vorhanden gewesen war der Verdacht auch vorher schon, aber sie hatte es zwei Jahre lang geschafft, ihn zu unterdrücken. Nicht zu denken an den Karnickelgriff in ihren Nacken und den Hinweis von Johannes Franken, Norbert sei kurz nach ihr aus der Diskothek gestürmt. Nicht so genau hinschauen, wenn Christa die alten Kinderfotos von Norbert und ihr herauskramte und auf die Ähnlichkeit ihres «Nesthäkchens» mit den beiden Großen verwies. Sich festhalten an Maria, einem römischen Soldaten und der Tatsache, dass Norbert ihr Bruder war. Und was nicht sein durfte, konnte nicht sein.
Da war dieser Nachmittag, sie stand in der Küche und bereitete ein Fläschchen zu, während Norbert sich im Wohnzimmer über den Kinderwagen beugte. Jasmin war sechs Monate alt und brabbelte schon verständliche Silben. Norbert fühlte sich unbeobachtet, sprach liebevoll und zärtlich mit dem Baby. «Da ist ja meine Süße, und ganz allein. Wo sind sie denn alle hin?»
«Mamama», brabbelte Jasmin.
Und er sagte: «Nicht immer nur Mama. Sag einmal Papa. Ich kenn einen, der sich wahnsinnig freut, wenn du es einmal sagst. Versuch’s mal, Pa Pa, es hört uns ja keiner zu.»
Sie hörte es und redete sich ein, er wolle nur Karlheinz eine Freude machen. Und dann hörte sie Li sprechen, die Sätze zerhackt von Diskomusik. Aber so viel verstand sie, Li sprach über einen Mann, mit dem sie eine Affäre gehabt hatte. Dieser Mann hatte zwei Schwestern. Eine war nicht seine richtige Schwester. Und der älteren Schwester hatte er etwas Furchtbares angetan. Und er hatte bei Li mit dem einfachen, weißen Höschen geprotzt.
«Du spinnst doch», sagte die Frau, die mit Li hinter der Theke arbeitete. «Wer so etwas tut, erzählt es doch nicht.»
«Es sei denn, er ist verrückt nach dir und bildet sich ein, du würdest ihm die Absolution erteilen», erklärte Li.
Später, an dem Vormittag im Regen, bestritt sie, Norbert gemeint zu haben. «Um Gottes willen, was reimst du dir da zusammen? Du hast ja nur die Hälfte verstanden. Mit Norbert hatte das gar nichts zu tun. Er ist dein Bruder, du kannst nicht wirklich glauben, er hätte dir so etwas angetan.»
Sie wollte es ja auch nicht glauben.
«Und er ist nicht der Einzige, mit dem ich geschlafen habe», sagte Li. «Ich zeig dir den Kerl bei Gelegenheit. Aber lass dir nichts anmerken, sonst können wir beide unser Testament machen. Er wird sich denken können, dass du es von mir weißt.»
An einem Abend Mitte August stellte Li ihr wie üblich eine Cola auf den Tresen und deutete verstohlen zum Eingang. Dort stand das rothaarige Kraftpaket, der Boxertyp, der an dem eisigen Januarabend von Norbert verlangt hatte, ihr den Spaß zu gönnen. Sie fühlte sich leicht in dem Moment, leistete ihrem Bruder tausendmal Abbitte für all die Gedanken, die sie nie hatte denken wollen. An den Boxertyp hatte sie nicht gedacht. Jasmin war ja auch nicht rothaarig. Aber er war da gewesen an dem Abend, und wahrscheinlich hatten Dunkelhaarige die stärkeren Gene.
«Starre ihn nicht an wie das Kaninchen die Schlange», sagte Li.
Sie versuchte, nicht zu ihm hinzuschauen, aber es funktionierte nicht. Er war nicht zu übersehen. Und er war nicht allein, kam zusammen mit einem zweiten Mann näher, baute sich nur einen knappen Meter von ihr entfernt an der Theke auf. Li stellte beiden Männern unaufgefordert zwei Bier hin, warf ihr noch einen beschwörenden Blick zu, wurde dann aber von anderen Gästen gerufen. Und ehe Karen wusste, was sie tat, stand sie vor ihm und sagte: «Ich habe ein Kind von dir bekommen.»
Sein Begleiter lachte, gackerte wie ein Huhn und klopfte ihm vor Begeisterung auf die Schulter. «Glückwunsch, Pitter. Sieht aus, als wärst du doch kein Kostverächter. Das ist doch nun wirklich mal was fürs Auge. Nu kipp nicht aus den Latschen. Schmeiß lieber ’ne Runde auf den Nachwuchs.»
Der Rothaarige wurde ausfallend. «Was erzählst du für eine Scheiße, du blöde Kuh? Verpiss dich.» Er stieß sie mit einer Hand vor die Brust, weil sie vor ihm stand wie festgewachsen.
Erst in dem Moment wurde ihr klar, welch ein Risiko sie einging. Norbert und Sarah tanzten, waren viel zu weit weg, um ihr beizustehen, hatten auch nur Augen für sich. Als er zum zweiten Mal die Hand hob, wurde Li aufmerksam, war im nächsten Moment hinter dem Tresen heraus, zerrte den Rothaarigen zurück und fauchte ihn an: «Halt deine Flossen bei dir. Sag ihr, was sie hören will. Na
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