Das Letzte Plädoyer: Roman
wenn auch in unterschiedlichen Verhandlungssälen.
»Sackville hat mir erzählt, dass du dich ganz gut schlägst«, berichtete sein Vater. »Er hat allerdings das Gefühl, du würdest unnötige Risiken eingehen.«
»Möglicherweise kann ich nur so herausfinden, ob Cartwright unschuldig ist.«
»Das ist nicht deine Aufgabe«, erwiderte sein Vater. »Das müssen die Geschworenen entscheiden.«
»Jetzt klingst du genau wie Richter Sackville«, lachte Alex.
»Deine Aufgabe besteht darin, mit der bestmöglichen Verteidigung für deinen Mandanten aufzuwarten«, fuhr sein Vater fort und ignorierte seinen Einwurf. »Ob er schuldig ist oder nicht.«
Offenbar hatte sein Vater vergessen, dass er Alex diesen Ratschlag bereits erteilt hatte, als der sieben Jahre alt war, und seither hatte er ihn unzählige Male wiederholt. Als Alex sich zum Studium in Oxford einschrieb, war er auf das Jura-Studium bestens vorbereitet.
»Was glaubst du, wie Beth Wilson als Zeugin abschneiden wird?«, fragte sein Vater.
»Ein distinguierter Kollege hat mir einst gesagt«, Alex zupfte sich gewichtig am Revers seines Jacketts, »dass man erst dann weiß, wie sich ein Zeuge verhalten wird, wenn er in den Zeugenstand tritt.«
Die Mutter von Alex musste laut auflachen. »Touché«, sagte sie, räumte das Geschirr ab und verschwand in der Küche.
»Unterschätze Pearson nicht«, riet sein Vater und ignorierte den Kommentar seiner Frau. »Er läuft zur Hochform auf, wenn er einen Zeugen der Verteidigung ins Kreuzverhör nimmt.«
»Ist es überhaupt möglich, Staatsanwalt Arnold Pearson zu unterschätzen?«, fragte Alex.
»O ja, mir ist das zweimal zu meinen Ungunsten passiert.«
»Dann wurden zwei unschuldige Männer für Verbrechen verurteilt, die sie nicht begangen haben?«, wollte Alex wissen.
»Sicher nicht«, erwiderte sein Vater. »Beide waren schuldig, aber ich hätte sie dennoch freikriegen sollen. Vergiss eines nicht – wenn Pearson in deiner Verteidigung eine Schwachstelle entdeckt, dann wird er so lange darauf herumreiten, bis er sicher sein kann, dass sich die Geschworenen genau daran erinnern.«
»Darf ich den ehrenwerten Richter unterbrechen, um mich zu erkundigen, wie es Susan geht?«, fragte seine Mutter und goss Alex Kaffee ein.
»Susan?« Mit einem Ruck kehrte Alex in die reale Welt zurück.
»Die bezaubernde junge Frau, die du vor ein paar Monaten mit zu uns gebracht hast.«
»Susan Rennick? Keine Ahnung. Ich fürchte, wir haben uns aus den Augen verloren. Ich glaube, das Anwaltsleben lässt sich nicht mit einem Privatleben vereinbaren. Der Himmel allein weiß, wie ihr beide je zueinander gefunden habt.«
»Deine Mutter hat mich während des Carbarshi-Prozesses jeden Abend gefüttert. Wenn ich sie nicht geheiratet hätte, wäre ich elend verhungert.«
»So einfach war das?« Alex grinste seine Mutter an.
»Ganz so einfach war es dann auch wieder nicht«, erwiderte sie. »Schließlich dauerte dieser Prozess über zwei Jahre – und er hat verloren.«
»Habe ich nicht.« Sein Vater legte den Arm um seine Mutter. »Aber sei gewarnt, mein Junge: Pearson ist nicht verheiratet, darum wird er das Wochenende damit zubringen, sich teuflische Fragen für Beth Wilson auszudenken.«
Eine Kaution war abgelehnt worden.
Danny hatte die letzten sechs Monate im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten Londons zugebracht. Er lag 24 Stunden am Tag in einer zwei mal drei Meter großen Zelle. Das Mobiliar bestand aus einem Bett, einem Resopal-Tisch, einem Plastikstuhl sowie einem kleinen Waschbecken und einer Kloschüssel aus Stahl. Ein winziges, vergittertes Fenster hoch über seinem Kopf ermöglichte den einzigen Ausblick auf die Außenwelt. Jeden Nachmittag durfte er seine Zelle 45 Minuten lang verlassen, dann joggte er durch einen Innenhof – ein betonierter Platz umgeben von einer fünf Meter hohen Mauer, die mit Stacheldraht versehen war.
»Ich bin unschuldig«, wiederholte er, wann immer man ihn fragte, worauf das Gefängnispersonal zu antworten pflegte: »Das sagen sie alle.«
Als Danny an diesem Morgen im Innenhof joggte, versuchte er, nicht daran zu denken, wie die erste Verhandlungswoche gelaufen war, aber das erwies sich als sinnlos. Obwohl er jeden einzelnen Geschworenen aufmerksam gemustert hatte, war ihm völlig schleierhaft, was diese Menschen dachten. Womöglich war das keine gute erste Woche gewesen, aber wenigstens würde Beth jetzt ihre Version der Geschichte erzählen können. Würden die
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