Das Letzte Plädoyer: Roman
wollte?«
»Genau«, sagte Alex.
»Das wird nicht hilfreich sein, wenn es um das Motiv geht.«
»Stimmt. Aber vielleicht habe ich auch eine oder zwei Überraschungen, über die er sich Sorgen machen sollte«, entgegnete Alex.
»Nämlich?«
»Craig hat Danny ins Bein gestochen und er hat eine Narbe, die das beweist.«
»Pearson wird behaupten, dass es sich um eine alte Wunde handelt.«
»Wir haben eine ärztliche Aussage, dass dem nicht so ist.«
»Dann wird Pearson Bernie Wilson die Schuld zuweisen.«
»Du schlägst mir also vor, Cartwright nicht in den Zeugenstand zu rufen?«
»Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, mein Junge. Ich war nicht vor Gericht dabei, darum weiß ich nicht, wie die Geschworenen auf die Aussage von Beth Wilson reagiert haben.«
Alex schwieg einen Moment. »Ein oder zwei haben sie angelächelt, und sie wirkte zweifellos wie ein aufrechter Mensch. Andererseits sind sie womöglich zu dem Schluss gekommen, dass sie zwar aussagt, was sie für die Wahrheit hält, dass sie aber die Geschehnisse nicht mit eigenen Augen gesehen hat und eventuell einfach Cartwrights Worten glaubt.«
»Tja, du musst nur drei Geschworene davon überzeugen, dass sie die Wahrheit sagt, dann gibt es kein Urteil, was im schlimmsten Fall zu einer Neuverhandlung führt. Aber wenn es dazu kommen sollte, ist die Krone womöglich der Ansicht, dass eine neue Verhandlung nicht im öffentlichen Interesse ist.«
»Wenn ich andererseits die falsche Entscheidung treffe, könnte Cartwright die nächsten zwanzig Jahre im Gefängnis verbringen.«
»Schlaf darüber«, riet der alte Mann. »Und fälle deine Entscheidung nicht vor morgen früh.«
12
Alex traf nur wenige Augenblicke, nachdem der Nachtwächter die Vordertür aufgeschlossen hatte, in Old Bailey ein. Nach einem ausgedehnten Zweiergespräch mit Danny in der unterirdischen Zelle begab sich Alex in das Ankleidezimmer und zog seine Amtstracht an, dann machte er sich auf den Weg zu Gerichtssaal vier. Alex betrat den leeren Saal, setzte sich auf seinen Platz auf der Anwaltsbank und legte drei Akten mit der Aufschrift
Cartwright
auf den Tisch vor sich. Er öffnete die erste Akte und ging die sieben Fragen durch, die er in der Nacht zuvor so ordentlich aufgeschrieben hatte. Dann sah er zur Uhr an der Wand. Es war 9 Uhr 35.
Zehn Minuten vor zehn schlenderten Arnold Pearson und sein Assistent herein und setzten sich ans andere Ende der Bank. Sie sprachen Alex nicht an, da er beschäftigt zu sein schien.
Danny Cartwright kam als Nächster, in Begleitung zweier Polizeibeamter. Er setzte sich auf den Holzstuhl mitten auf der Anklagebank und wartete auf das Erscheinen des Richters.
Schlag zehn Uhr öffnete sich die Tür im hinteren Teil des Saales und Richter Sackville betrat sein Reich. Alle Anwesenden erhoben und verbeugten sich. Der Richter erwiderte die Begrüßung, dann setzte er sich auf seinen Stuhl in der Mitte. »Führen Sie die Geschworenen herein«, sagte er.
Während er auf die zwölf Männer und Frauen wartete, setzte er seine Brille mit den Halbmondgläsern auf, öffnete ein frisches Notizbuch und schraubte seinen Füllfederhalter auf. Dann notierte er sich die Worte:
Befragung von Daniel Cartwright durch Alex Redmayne.
Sobald die Geschworenen Platz genommen hatten, wandte der Richter seine Aufmerksamkeit dem Verteidiger zu. »Sind Sie bereit, Ihren nächsten Zeugen zu rufen, Mr. Redmayne?«, fragte er.
Alex erhob sich, goss sich ein Glas Wasser ein und nahm einen Schluck. Er sah kurz zu Danny und lächelte. Dann blickte er auf die Fragen, die vor ihm auf dem Papier standen, bevor er die Seite umblätterte und auf ein leeres Blatt Papier starrte. Er sah zum Richter auf, lächelte und sagte: »Nein, Euer Lordschaft.«
Über Pearsons Gesicht huschte ein ängstlicher Ausdruck. Er drehte sich rasch zu seinem Assistenten um, der gleichermaßen verwirrt schien. Alex genoss den Augenblick und wartete, bis das allgemeine Flüstern verstummt war. Der Richter lächelte zu Redmayne hinunter, der einen Augenblick lang meinte, ihn sogar zwinkern zu sehen.
Nachdem Alex diesen Augenblick so lange ausgekostet hatte, wie er es vertreten konnte, sagte er: »Euer Lordschaft, hiermit schließt die Verteidigung ihren Fall ab.«
Richter Sackville sah zu Pearson, der jetzt einem verängstigten Hasen im Scheinwerferlicht eines herannahenden Lastwagens glich.
»Mr. Pearson«, sagte der Richter, als sei weiter nichts geschehen, »Sie dürfen nun Ihr Abschlussplädoyer
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