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Das Letzte Protokoll

Das Letzte Protokoll

Titel: Das Letzte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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- erzählte er ihr, wie Carl Gu s tav Jungs Test funktionierte. Jede Frage war eine bewusste Methode, an das U n terbewusste heranzukommen.
    Eine Farbe. Ein Tier. Ein Gewässer. Ein weißer Raum.
    Peter sagte, jedes dieser Dinge sei Carl Gustav Jung z u folge ein Archetyp. Jedes Bild repräsentiere einen bestimmten Aspekt e i nes Menschen.
    Die Farbe, die Misty erwähnt habe - Gold -, die zeige, wie sie selbst sich sehe.
    Sie beschreibe sich als »Glänzend. Schwer. Weich«, sagte P e ter.
    Das Tier zeige, wie wir andere Menschen wahrnähmen.
    Sie nehme Menschen als »Schmutzig. Dumm. Hässlich«, wahr, sagte Peter.
    Das Gewässer stehe für ihr Sexleben.
    Belebt, schnell und überfüllt. Carl Gustav Jung zufolge.
    Alles, was wir sagen, trägt unsere Handschrift. Unser Tag e buch.
    Ohne sie anzusehen, sagte Peter: »Ich war von deiner Antwort nicht gerade begeistert.«
    Peters letzte Frage, die nach dem vollständig weißen Zimmer, dazu sagt er, dieser Raum ohne Fenster und T ü ren stehe für den Tod.
    Für sie sei der Tod zeitweilig, vorübergehend und ve r wirrend.

August
    Vollmond
    Die Jainas behaupten von sich, dass sie fliegen können. Dass sie auf Wasser gehen können. Dass sie alle Sprachen verstehen. A n geblich können sie Metallschrott in Gold verwandeln. La h me und Blinde heilen.
    Das alles erzählt ihr der Arzt, und Misty hört mit geschloss e nen Augen zu. Sie hört zu und malt. Sie steht vor Sonnenau f gang auf, damit Grace ihr die Augen zukleben kann. Nach Sonnenunte r gang wird das Klebeband wieder abgezogen.
    »Angeblich«, sagt der Arzt, »können die Jainas die Toten erw e cken.«
    Das alles können sie tun, weil sie sich selbst quälen. Sie hu n gern, sie leben ohne Sex. Und dieses Leben voller En t behrungen und Schmerzen verleiht ihnen magische Krä f te.
    »Man nennt das Askese«, sagt der Arzt.
    Er redet, Misty zeichnet. Misty arbeitet, und er hält ihr die Fa r ben hin, die Pinsel und Stifte. Wenn sie mit einem Bild fertig ist, legt er ihr ein neues Blatt hin. Er tut, was früher Tabbi getan hat.
    Die Jainas waren in allen Königreichen des Ostens berühmt. Schon vierhundert Jahre vor Christi Geburt wirkten sie ihre Wunder an den Höfen von Syrien und Ägypten, Epirus und M a ked o nien. Diese Wunder inspirierten die Essener und die ersten Christen. Sie verblüfften Al e xander den Großen.
    Dr. Touchet erzählt immer weiter. Die christlichen Märtyrer waren Ableger der Jainas. Die heilige Katharina von Siena geiße l te sich täglich dreimal. Die erste Geißelung galt den eigenen Sünden. Die zweite galt den Sünden aller Lebenden. Die dritte den Sünden aller Toten.
    Simeon wurde heilig gesprochen, nachdem er, den El e menten preisgegeben, so lange auf einer Säule gestanden hatte, bis er bei lebendigem Leibe verwest war.
    Misty sagt: »Fertig.« Und wartet auf das nächste Blatt Papier, die nächste Leinwand.
    Man kann hören, wie der Arzt das neue Bild wegnimmt. Er sagt: »Wunderbar. Unglaublich inspiriert.« Und seine Stimme wird le i ser, während er es durchs Zimmer trägt. Man hört das Schaben des Bleistifts, mit dem er eine Nummer auf die Rückse i te schreibt. Draußen rauschen und brechen die Wellen des Oz e ans. Er stellt das Bild neben die Tür, dann kommt seine Arz t stimme wieder näher, und er sagt: »Wieder Papier? Oder jetzt Leinwand?«
    Einerlei. »Leinwand«, sagt Misty.
    Seit Tabbi gestorben ist, hat Misty noch keines ihrer Bilder g e sehen. Sie sagt: »Wo bringen Sie die hin?«
    »An einen sicheren Ort«, sagt er.
    Ihre Periode ist schon seit fast einer Woche ausgeblieben. W e gen Unterernährung. Sie braucht nicht mehr auf Schwange r schaftsteststreifen zu pinkeln. Peter hat seinen Job erledigt, i n dem er sie hierher brachte.
    Und der Arzt sagt: »Sie können anfangen.« Seine Hand schließt sich um ihre und führt sie an das raue, fest g e spannte, bereits mit Hasenleim präparierte Tuch.
    Die Essener, sagt er, waren ursprünglich eine Gruppe pers i scher Anachoreten, die die Sonne verehrten.
    Anachoreten. So nannte man auch die Frauen, die sich lebendig im Keller von Kirchen einmauern ließen. Eing e mauert, um dem Gebäude eine Seele zu geben. Die ve r rückten Geschichten von Bauleuten. Die Whiskey und Frauen und Katzen ins Ma u erwerk einschließen. Ihr Mann gehörte auch dazu.
    Du.
    Misty, gefangen in ihrem Dachgeschosszimmer, gefesselt von dem schweren Verband um ihr Bein. Die Tür von außen abg e schlossen. Der Arzt stets mit einer Spritze zur Hand, sollte

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