Das letzte Revier
Autorität, jener eiskalten Stimme, die ich nur benutze, wenn ich jemandem wirklich Angst einjagen will. »Hüten Sie sich, Mr. Peanut noch einmal anzurühren, außer Sie wollen sie streicheln. Ich habe etwas gegen Leute, die Tieren wehtun.«
Ihr Gesicht wird rot, und in ihren Augen blitzt Wut auf. Ich starre unverwandt in ihre Pupillen.
»Es gibt Gesetze gegen Tierquälerei«, sage ich. »Und wenn Sie Mr. Peanut schlagen, setzen Sie kein gutes Beispiel für Ihre Kinder.« Eine Andeutung, dass ich ein zweites Kind gesehen habe, das sie bislang nicht erwähnt hat.
Sie macht einen Schritt zurück, dreht sich um und geht zurück zum Haus. Mr. Peanut sitzt da und blickt zu mir auf. »Geh nach Hause«, sage ich, und es bricht mir das Herz. »Geh schon, Süße. Du musst nach Hause gehen.«
Zack läuft die Stufen hinunter und zu uns. Er nimmt de n Hund beim Halsband, geht in die Hocke, krault ihn zwischen den Ohren und spricht mit ihm. »Sei ein braver Hund und mach Mama nicht wütend, Mr. Peanut. Bitte«, sagt er und sieht zu mir auf. »Sie mag nicht, dass Sie ihren Babybuggy mitgenommen haben.« Das versetzt mir einen Schock, aber ich lasse es mir nicht anmerken. Ich gehe ebenfalls in die Hocke und tätschle Mr. Peanut, versuche, mich von ihrem moschusartigen Gestank nicht an Chandonne erinnern zu lassen. Mir wird übel, und das Wasser läuft mir im Mund zusammen. »Der Babybuggy gehört ihr?«, frage ich Zack.
»Wenn sie Junge hat, fahre ich sie darin spazieren«, sagt Zack. »Warum lag er dort drüben neben dem Picknicktisch, Zack?«, frage ich. »Ich dachte, jemand, der hier gezeltet hat, hätte ihn vergessen.« Er schüttelt den Kopf und streichelt Mr. Peanut. »Das ist Mr. Peanuts Buggy, stimmt's, Mr. Peanut? Ich muss zurück.« Er steht auf und blickt verstohlen zur offenen Haustür.
»Ich sag dir was.« Ich stehe ebenfalls auf. »Wir müssen uns Mr. Peanuts Buggy nur genau ansehen. Wenn wir fertig sind, bringen wir ihn zurück. Ich verspreche es dir.«
»Okay.« Er stolpert los und zerrt den Hund hinter sich her. Ich sehe ihnen nach, bis sie im Haus sind und die Tür hinter sich geschlossen haben. Ich stehe mitten auf dem matschigen Weg im Schatten verkümmerter Kiefern, die Hände in den Taschen, und schaue zum Haus, von wo Mrs. Kiffin mich zweifellos beobachtet. Auf der Straße nennt man das Flagge zeigen, die eigene Präsenz kundtun. Ich bin hier noch nicht fertig. Ich werde zurückkommen.
23
Wir fahren auf der Route 5 nach Osten, und ich weiß, dass wir spät dran sind. Selbst wenn ich Lucys Hubschrauber herbeibeschwören könnte, würde ich es nie bis um zwei Uhr zu Anna schaffen. Ich hole meine Brieftasche raus und suche mir die Karte, auf der Berger ihre Telefonnummern notiert hat. Sie ist nicht in ihrem Hotel, und ich hinterlasse die Nachricht, dass sie mich um sechs Uhr bei Anna abholen soll. Marino sagt nichts, als ich mein Handy zurück in die Tasche stecke. Er starrt geradeaus, sein Pickup rattert laut über die gewundene, schmale Straße. Er denkt über das nach, was ich ihm gerade über den Kinderwagen erzählt habe. Bev Kiffin hat uns angelogen.
»Die ganze Sache da draußen«, sagt er schließlich und schüttelt den Kopf. »Unheimlich. Als ob überall Augen wären, die uns die ganze Zeit beobachten. Als hätte der Ort ein geheimes Leben, von dem niemand was weiß.«
»Sie weiß«, sage ich. »Sie weiß etwas. So viel ist klar, Marino. Ihr war es wichtig, uns zu erzählen, dass die Leute vom Zeltplatz den Kinderwagen zurückgelassen hatten. Sie ist unaufgefordert damit angekommen. Sie wollte, dass wir das glauben. Warum?«
»Diese Leute, die angeblich dort gezeltet haben, gibt es nicht. Wenn die Haare wirklich von Chandonne sind, muss ich glauben, dass sie ihm dort draußen Unterschlupf gewährt hat, und deswegen wurde sie auch so misstrauisch.«
Dass Chandonne an der Rezeption auftaucht und nach einem Schlafplatz für die Nacht fragt, übersteigt meine Vorstellung. Le Loup-Garou, wie er sich selbst nennt, würde so ein Risiko nicht eingehen. Sein Modus Operandi, soweit wir ihn kennen, bestand nicht darin, bei jemandem an der Tür zu klingeln, außer e r wollte morden und misshandeln. Soweit wir wissen. Soweit wir wissen, denke ich immer wieder. Die Wahrheit ist, dass wir jetzt weniger wissen als noch vor zwei Wochen. »Wir müssen wieder von vorn anfangen«, sage ich zu Marino. »Wir haben uns ein Bild gemacht ohne Informationen, und was jetzt? Wir haben den Fehler begangen, ein
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