Das letzte Revier
Härte der Schläge beeinflusst die Geschwindigkeit und die Menge des Bluts, das durch die Luft geschleudert wird. Das beim Ausholen mit der Waffe verspritzte Blut verrät uns die Anzahl der Schläge, in diesem Fall waren es mindestens sechsundfünfzig. Präziser können wir die Schläge nicht berechnen, weil sich Blutspritzer übereinander abgelagert haben, und zu unterscheiden, wie viele es waren, kommt dem Versuch gleich, im Nachhinein feststellen zu wollen, mit wie vielen Hammerschlägen ein Nagel in einen Baum getrieben wurde. Die Anzahl der Schläge, die in diesem Raum erfasst wurde, entspricht dem, was die Autopsie von Brays Leiche ergab. Aber auch die Brüche überlagerten einander, und so viele Knoche n waren zermalmt, dass ich aufgab, sie zu zählen. Hass. Unglaubliche Lust und Wut. Bislang wurde nichts unternommen, um die Spuren dessen zu beseitigen, was in diesem Schlafzimmer passiert ist, und womit Berger und ich hier konfrontiert sind, steht in einem ungeheuren Kontrast zu der Stille und Sterilität des restlichen Hauses. Als Erstes fällt ein dichtes pinkfarbenes Netz ins Auge, gesponnen von den Kriminaltechnikern, die mittels der Fadenmethode die Trajektorien der im ganzen Raum verteilten Blutspritzer ermittelten. Hierbei geht es darum, Distanz, Geschwindigkeit und Winkel zu bestimmen und mit Hilfe eines mathematischen Modells die genaue Position von Brays Körper bei jedem Schlag festzulegen. Das Ergebnis sieht aus wie ein eigentümliches Werk moderner Kunst, eine unheimliche fuchsienrote Geometrie, die die Augen zu Wänden, Decke, Boden, antiken Möbeln und vier verzierten Spiegeln führt, in denen Bray einst ihre spektakuläre, sinnliche Schönheit begutachtete. Geronnene Blutlachen auf dem Boden sind jetzt hart und dick wie getrocknete Molasse, und die Matratze auf dem großen Bett, auf dem Brays Leiche so grausam zur Schau gestellt war, sieht aus, als hätte jemand dosenweise schwarze Farbe darauf verschüttet. Ich spüre Bergers Reaktion, während sie sich umschaut. Sie sagt kein Wort, während sie das schreckliche und wahrhaft Unbegreifliche in sich aufnimmt. Und dann legt sie eine seltsame Energie an den Tag, die nur Leute, insbesondere Frauen verstehen können, die ihren Lebensunterhalt mit Verbrechensbekämpfung verdienen. »Wo ist die Bettwäsche?« Berger öffnet den Akkordeonordner. »Wurde sie ins Labor gebracht?«
»Wir haben keine Bettwäsche gefunden«, sage ich und denke an das Motelzimmer in James City County. Auch dort fehlte die Bettwäsche. Chandonne behauptet, dass Bettwäsche aus seiner Wohnung in Paris verschwand.
»Wurde sie vor oder nach ihrer Ermordung entfernt?« Berge r entnimmt einem Umschlag Fotos.
»Vorher. Das erkennt man an den Blutspuren auf der nackten Matratze.« Ich betrete den Raum, weiche Fäden aus, die wie lange, dünne Finger anklagend auf Chandonnes Verbrechen deuten. Ich weise Berger auf ungewöhnliche parallele Schmierflecken auf der Matratze hin, blutige Streifen, die vo n dem spiralförmigen Griff des Maurerhammers stammen, den Chandonne zwischen oder nach Schlägen auf dem Bett ablegte. Berger erkennt das Muster zuerst nicht. Sie starrt stirnrunzelnd auf die Matratze, während ich das Chaos dunkler Flecken entziffere, Handabdrücke und Schmierflecken, wo Chandonne, wie ich glaube, über Bray kniete und seine grauenhaften sexuellen Fantasien auslebte. »Diese Muster befänden sich nicht auf der Matratze, wenn zur Tatzeit ein Laken auf dem Bett gelegen hätte«, erkläre ich. Berger betrachtet ein Foto von Bray, auf dem sie in der Mitte der Matratze auf dem Rücken liegt. Sie hat eine schwarze Kordhose samt Gürtel an, aber keine Schuhe und Socken, von der Taille an aufwärts ist sie nackt, eine zerschlagene goldene Uhr am linken Handgelenk. An ihrer zerschmetterten rechten Hand ist ein goldener Ring zu erkennen, der in den Fingerknochen getrieben wurde. »Es waren also entweder von vornherein keine Laken auf dem Bett, oder er hat sie aus irgendeinem Grund entfernt«, füge ich hinzu.
»Ich versuche es mir vorzustellen.« Berger blickt auf die Matratze. »Er ist im Haus. Er drängt sie den Flur entlang bis in ihr Schlafzimmer. Es gibt keine Spuren für einen Kampf - keine Hinweise, dass er sie verletzte, bis sie hier sind, und dann bum! Die Hölle bricht los. Was ich nicht verstehe: Er treibt sie hierher, und dann sagt er: >He, warte einen Augenblick, während ich das Bett abziehe Dafür nimmt er sich Zeit?«
»Ich bezweifle ernsthaft, dass sie
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