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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ich mich schuldig. Es ist das erste Weihnachten, an dem ich nicht irgendwie an die Wachleute gedacht habe. Normalerweise backe ich Brot für sie oder bringe demjenigen, der das Pech hat, Dienst zu haben, statt zu Hause bei seiner Familie zu sein, etwas zu essen. Ich bin sehr still. Berger spürt, dass ich bedrückt bin. »Es ist sehr wichtig, dass Sie mir Ihre Gefühle schildern«, sagt sie leise. »Ich weiß, dass es absolut gegen Ihre Natur ist und gegen jede Regel verstößt, die Sie in Ihrem Leben für sich aufgestellt haben.« Wir fahren die Straße zum Fluss entlang. »Das verstehe ich nur z u gut.«
    »Mord macht aus allen Egoisten«, sage ich. »Das ist nur allzu wahr.«
    »Er verursacht unerträglichen Zorn und Schmerz«, fahre ich fort. »Man denkt nur noch an sich selbst. Wir haben statistische Analysen mit der Datenbank unseres Computers durchgeführt, und eines Tages kommt mir der Fall einer Frau unter, die vergewaltigt und ermordet wurde. Dann finde ich drei Fälle mit demselben Nachnamen und stelle fest, dass sie alle aus einer Familie stammen: ein Bruder, der ein paar Jahre nach dem Mord an einer Überdosis starb, dann der Vater, der wiederum ein paar Jahre später Selbstmord beging, die Mutter, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Wir haben am Institut mit einer ehrgeizigen Studie begonnen und wollen untersuchen, was mit den Zurückgebliebenen passiert. Sie lassen sich scheiden. Sie werden süchtig. Oder geistesgestört. Verlieren ihre Jobs. Ziehen um.«
    »Gewalt vergiftet den Brunnen«, lautet Bergers ziemlich banaler Kommentar.
    »Ich habe es satt, egoistisch zu sein. Das fühle ich«, sage ich. »Es ist der vierundzwanzigste Dezember, und habe ich für irgendjemanden etwas getan? Nicht einmal für Rita. Sie muss bis nach Mitternacht arbeiten, hat mehrere Jobs, weil sie ihre Kinder versorgen muss. Ich hasse es. Er hat so viele Menschen verletzt. Und er macht weiter. Wir haben zwei ungewöhnliche Mordfälle, mit denen er vermutlich auch zu tun hat. Folter. Internationale Verbindungen. Waffen, Drogen. Verschwundene Bettwäsche.« Ich blicke zu Berger. »Wann wird das endlich aufhören?« Sie biegt in meine Einfahrt, tut nicht so, als wüsste sie nicht genau, welche es ist. »Nicht schnell genug«, erwidert sie. Wie Brays Haus ist auch meines völlig dunkel. Jemand hat alle Lichter ausgeschaltet, auch die Flutlichter, die diskret in Bäumen oder Giebeln versteckt sind und auf den Boden strahlen, damit sie mein Grundstück nicht wie ein Baseballfeld erhellen und meine Nachbarn nicht allzu sehr verärgern. Ic h fühle mich nicht willkommen. Ich fürchte mich davor, hineinzugehen und mir anzusehen, was Chandonne und die Polizei meiner privaten Welt angetan haben. Ich bleibe einen Augenblick sitzen und starre aus dem Fenster, während mich der Mut verlässt. Zorn, Schmerz wallen in mir auf. Ich bin zutiefst gekränkt.
    »Was fühlen Sie?«, fragt Berger und schaut zu meinem Haus. »Was ich fühle? Piü si prende e peggio si mangia.« Ich steige aus und knalle wütend die Tür zu.
    Locker übersetzt, bedeutet dieses italienische Sprichwort so viel wie Je mehr man zahlt, umso schlechter isst man. Das italienische Landleben sollte einfach und angenehm sein. Unkompliziert. Das beste Essen wird aus frischen Zutaten bereitet, und die Menschen stehen nicht eilig vom Tisch auf und kümmern sich nicht um Dinge, die nicht wirklich wichtig sind. In den Augen meiner Nachbarn ist mein robustes Haus ein Fort, das mit jedem nur erdenklichen Sicherheitssystem ausgestattet ist. In meinen Augen habe ci h eine casa colonica gebaut, ein anheimelndes Bauernhaus aus Stein in unterschiedlichen, weichen Grauschattierungen mit braunen Fensterläden, die mich mit beruhigenden, erfreulichen Gedanken an meine Vorfahren erfüllen. Ich wünschte nur, ich hätte das Dach mit coppi, geschwungenen Terracotta- Ziegeln, decken lassen statt mit Schiefer, aber ich wollte keinen roten Drachenrücken auf rustikalem Stein. Wenn ich schon keine Materialien fand, die alt waren, dann wenigstens welche, die zur Erde passen. Die Essenz dessen, was ich bin, ist zerstört. Die schlichte Schönheit und Sicherheit meines Lebens ist besudelt. Ich zittere innerlich. Meine Augen schwimmen in Tränen, als ich die Treppe hinaufgehe und unter der Lampe stehen bleibe, die Chandonne abgeschraubt hat. Die Nachtluft ist beißend, und Wolken verdunkeln den Mond. Es kann jeden Augenblick wieder anfangen zu schneien. Ich blinzle und atme mehrmals tief die kalte

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