Das letzte Revier
drauf, gefunden in meinem Haus. Genauer gesagt, in meinem großen Zimmer, auf dem Perserteppich, genau vierundvierzig Komma fünf Zentimeter rechts vom Couchtisch. Chandonnes Hammer, nicht meinen, sage ich immer wieder, während ich mir billige braune Tüten, versehen mit einer Nummer und einem Strichcode für Scarpetta, auf den vollen Regalen der Asservatenkammer vorstelle.
Ich lehne an der Wand im Flur, und mir ist schwindlig. Es ist, als würde ich neben mir stehen und mich selbst beobachten nach einem schrecklichen und endgültigen Ereignis. Meinem Ruin. Meinem Untergang. Ich bin genauso tot wie die anderen, deren braune Tüten in dieser Kammer landen. Ich bin zwar nicht tot, aber vielleicht ist es noch schlimmer, angeklagt zu sein. Ich hasse es, mir den nächsten Schritt meinem Untergang entgegen auch nur vorzustellen. Es ist Overkill. »Marino«, sage ich, »steck den Schlüssel in meine Tür.«
Er zögert, runzelt die Stirn. Dann holt er die durchsichtige Plastiktüte aus der Innentasche seiner alten Lederjacke mit dem abgewetzten Fliesfutter. Kalter Wind weht ins Haus, als er die Tür öffnet und den Stahlschlüssel mühelos - vollkommen mühelos - in das Schloss steckt, ihn mehrmals umdreht und de r Riegel vor- und zurückgleitet.
»Die Nummer, die darauf steht«, sage ich leise zu Marino und Berger. »Zweidreidrei. Das ist der Code für die Alarmanlage.«
»Was?« Berger ist ausnahmsweise einmal sprachlos. Wir gehen in das große Zimmer. Diesmal setze ich mich an den kalten Kamin, wie Aschenputtel. Berger und Marino meiden die fleckige Couch und setzen sich vor mich in die Sessel, sehen mich an, warten auf eine Erklärung. Es gibt nur eine, und die liegt auf der Hand. »Polizei und weiß Gott wer noch sind seit Samstag in meinem Haus ein und aus gegangen«, sage ich. »In der Küche ist eine Schublade. Darin sind Schlüssel für alles, für das Haus, den Wagen, mein Büro, Aktenschränke und so weiter. Wer wollte, hätte also leichten Zugang zu einem Ersatzschlüssel vom Haus gehabt, und ihr hattet doch den Code von meiner Alarmanlage, oder?« Ich sehe Marino an. »Ihr habt sie doch eingeschaltet, als ihr gegangen seid. Sie war an, als wir vorhin kamen.«
»Wir brauchen eine Liste von allen Personen, die in diesem Haus waren«, sagt Berger grimmig.
»Ich kann alle aufzählen, von denen ich weiß«, sagt Marino. »Aber ich war nicht jedes Mal dabei. Ich weiß also nicht, wer alles hier war.«
Ich seufze und lehne mich gegen den Kamin. Ich zähle auf, wen ich mit eigenen Augen gesehen habe, darunter Jay Talley. Darunter Marino. »Und Righter war hier«, füge ich hinzu. »Und ich«, sagt Berger. »Aber ich wurde eingelassen. Und ich kannte den Code für die Alarmanlage nicht.«
»Wer hat Ihnen aufgemacht?«, frage ich.
Sie beantwortet die Frage mit einem Blick zu Marino. Es trifft mich, dass Marino mir nie erzählt hat, dass er Berger herumgeführt hat. Meine Reaktion ist irrational. Wer wäre geeigneter als Marino? Wem vertraue ich mehr als ihm? Marino ist sichtlich erregt. Er steht auf und geht in die Küche. Ich höre , wie er die Schublade aufzieht, in der ich meine Schlüssel aufbewahre, dann öffnet er den Kühlschrank.
»Ich war dabei, als Sie den Schlüssel in Mitch Barbosas Tasche fanden«, denkt Berger laut nach. »Sie können ihn also nicht hineingesteckt, ihn nicht dort platziert haben. Weil Sie nicht dabei waren, als die Leiche gefunden wurde. Und Sie waren mit der Leiche nicht allein. Ich meine, Marino und ich waren dabei, als sie den Reißverschluss der Tasche aufzogen.« Sie atmet frustriert aus. »Und Marino?«
»Das würde er nicht tun.« Ich winke mit einer müden Handbewegung ab. »Nie. Klar, er hatte Zugang, aber das würde er nie tun. Und so wie er es schilderte, hat er Barbosas Leiche am Fundort nicht gesehen. Sie war schon im Krankenwagen, als er in Mosby Court eintraf.«
»Dann war es also entweder einer der Polizisten an der Fundstelle oder...«
»Wahrscheinlicher ist«, führe ich ihren Gedanken zu Ende, »dass der Schlüssel Barbosa in die Tasche gesteckt wurde, als man ihn umbrachte. Am Tatort. Nicht am Fundort der Leiche.« Marino kommt zurück, eine Flasche Spaten-Bier in der Hand, die Lucy gekauft haben muss. Ich jedenfalls erinnere mich nicht, sie gekauft zu haben. Nichts in diesem Haus scheint mehr mir zu gehören, und ich muss an Annas Geschichte denken. Ich fange an zu begreifen, was sie empfunden haben muss, als die Nazis das Haus ihrer Familie mit Beschlag
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