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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ob dort etwas passiert ist?«
    »Er war ein bisschen launisch.« Sie ist jetzt gefasster und spricht über Benny, als würde er draußen auf sie warten. »Nächsten Monat wird er zwölf, und Sie wissen ja, wie Kinder in diesem Alter sind.«
    »Was meinen Sie mit >launisch    »Er ging oft in sein Zimmer und machte die Tür zu. Hörte mit Kopfhörern Musik. Hin und wieder war er frech, was früher nicht der Fall war. Ich habe mir Sorgen gemacht.« Ihre Stimme zittert. Sie blinzelt und erinnert sich plötzlich, wo sie ist und warum sie hier ist. »Ich weiß einfach nicht, warum er es getan hat!« Tränen schießen ihr aus den Augen. »Ich weiß, dass in der Kirche ein paar Jungen sind, die ihn piesacken. Sie machen sich über ihn lustig, nennen ihn den hübschen Jungen.«
    »Hat sich gestern jemand über ihn lustig gemacht?«
    »Das ist gut möglich. In der Sonntagsschule sind sie alle zusammen. Und es wurde eine Menge geredet über diese Morde in der Gegend.« Sie hält inne. Sie hat Angst vor einem Thema, das für sie fremd und anormal ist.
    »Die zwei Männer, die vor Weihnachten umgebracht wurden?«
    »Ja. Die, von denen gesagt wird, dass sie verflucht waren, weil Amerika so nicht angefangen hat. Mit Leuten, die so was tun.«
    »Verflucht? Wer sagt, dass sie verflucht waren?«
    »Die Leute. Es wird eine Menge geredet«, fährt sie fort und holt tief Luft. »Und Jamestown ist nicht weit weg. Sie kennen doch die Geschichten, dass Leute die Gespenster von John Smith und Pocahontas sehen und so. Und diese Männer wurden ganz in der Nähe ermordet, nahe bei Jamestown Island, un d dieses Gerede, dass sie, na ja, Sie wissen schon was waren. Unnatürlich, deswegen hat man sie wahrscheinlich umgebracht. Das habe ich zumindest gehört.«
    »Haben Sie und Benny darüber gesprochen?« Mein Herz wird immer schwerer.
    »Ein bisschen. Alle reden davon, dass diese Männer umgebracht und verbrannt und gefoltert wurden. Die Leute schließen jetzt ihre Türen ab. Es ist unheimlich, das muss ich zugeben. Deswegen haben Benny und ich darüber geredet, ja. Seitdem das passiert ist, ist er viel launischer. Vielleicht hat es ihn verwirrt.« Schweigen. Sie starrt auf die Tischplatte. Sie kann sich nicht entscheiden, in welcher Zeit sie über ihren toten Sohn reden soll. »Das und dass die anderen Jungen ihn hübsch nannten. Benny hasste es, und ich kann es ihm nicht übel nehmen. Ich sage immer zu ihm, warte nur, bis du groß bist und besser aussiehst als alle anderen. Und sich die Mädchen um dich reißen. Dann wirst du's ihnen zeigen.« Sie lächelt kurz und fängt wieder an zu weinen. »Er ist so empfindlich. Und Kinder können so grausam sein.«
    »Möglicherweise wurde er gestern in der Kirche verspottet«, sage ich. »Glauben Sie, dass die Jungen Anspielungen machten auf. Homosexuelle und dass er vielleicht -«
    »Genau das«, platzt sie heraus. »Ja. Dass Menschen, die unnatürlich und böse sind, verflucht sind. In der Bibel steht klipp und klar >Und Gott überließ sie ihrer Wollust.<«
    »Könnte sich Benny wegen seiner Sexualität Sorgen gemacht haben, Mrs. White?«, frage ich vorsichtig, aber bestimmt. »Das ist ziemlich normal für Kinder, die in die Pubertät kommen. Sie sind in ihrer sexuellen Identität verunsichert. Vor allem heutzutage. Die Welt ist kompliziert, viel komplizierter als früher.« Das Telefon klingelt. »Entschuldigen Sie.«
    Es ist Jack, der Bescheid sagt, dass Benny fertig ist. »Und Marino ist da und sucht Sie. Er sagt, er hätte wichtig e Informationen.«
    »Sagen Sie ihm, wo er mich findet.« Ich lege auf. »Benny hat mich gefragt, ob den Männern so schreckliche Dinge angetan wurden, weil sie... Er benutzte das Wort schwul«, sagt Mrs. White. »Ich sagte, dass das sehr wohl Gottes Strafe sein könnte.«
    »Wie hat er drauf reagiert?«, frage ich sie. »Ich kann mich nicht erinnern, dass er etwas gesagt hat.«
    »Wann war das?«
    »Vor ungefähr drei Wochen. Kurz nachdem die zweite Leiche gefunden wurde und in den Nachrichten von Mord aus sexistischen Gründen die Rede war.«
    Ich frage mich, ob Stanfield ahnt, wie viel Schaden er damit angerichtet hat, dass er an seine n verdammten Schwager Einzelheiten der Ermittlungen weitergegeben hat. Mrs. White redet nervös drauflos, während ihre Angst mit jedem Schritt den Flur hinunter größer wird. Ich gehe mit ihr in einen kleinen Raum, der mit einer Couch und einem Tisch eingerichtet ist, an der Wand hängt eine friedliche englische Landschaft.

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