Das letzte Revier
angeflogen kommt und Fragen zum gewaltsamen Tod ihres Bruders stellt.
Bennys Zimmer ist eine Menagerie von Stofftieren: Drachen, Bären, Vögel, Eichhörnchen, struppig und süß, viele davon komisch. Es gibt Dutzende davon. Seine Eltern und Lucy bleiben vor der Tür stehen, während ich hineingehe, mich umsehe, das Zimmer auf mich wirken lasse. An der Wand kleben bunte, mit Magic Marker ausge führte Zeichnungen, wieder von Tieren, und sie zeugen von Fantasie und einer Menge Talent. Benny war ein Künstler. Mr. White erzählt, dass Benny gern mit seinem Skizzenblock hinausging und Bäume, Vögel, was immer er sah, zeichnete. Er machte auch Zeichnungen, um sie anderen Menschen zu schenken. Mr. White redet, während seiner Frau Tränen übers Gesicht laufen.
Ich betrachte eine Zeichnung an der Wand rechts von der Kommode. Auf dem bunten Bild sitzt ein Mann in einem kleinen Boot. Er trägt einen Hut mit breiter Krempe und angelt, seine Angelrute ist gebogen, als hätte gerade was angebissen. Benny hat eine leuchtende Sonne und ein paar Wolken gezeichnet, und im Hintergrund am Ufer steht ein eckiges Gebäude mit vielen Fenstern und Türen. »Ist das der Bach hinte r Ihrem Haus?«, frage ich. »So ist es«, sagt Mr. White und legt einen Arm um seine Frau. »Es ist ja gut, Liebling«, sagt er mehrmals zu ihr, schluckt selbst, als würde auch er gleich anfangen zu weinen.
»Hat Benny gern geangelt?«, höre ich Lucys Stimme aus dem Flur. »Weil Leute, die Tiere lieben, nicht gern angeln. Oder sie lassen alle Fische wieder schwimmen.«
»Interessanter Punkt«, sage ich. »Darf ich in den Schrank schauen?«, frage ich die Whites.
»Nur zu«, sagt Mr. White, ohne zu zögern. »Nein, Benny hat nicht gern geangelt. Er fuhr nur gern im Boot hinaus oder setzte sich irgendwo ans Ufer. Die meiste Zeit hat er gezeichnet.«
»Dann müssen Sie das sein, Mr. White.« Ich schaue wieder auf das Bild von dem Mann im Boot.
»Nein, ich denke, das ist sein Vater«, erwidert Mr. White düster. »Sein Vater ist mit ihm im Boot hinausgerudert. Ehrlich gesagt, ich habe das nie getan.« Er hält inne. »Ich kann nicht schwimmen, deswegen fühle ich mich auf dem Wasser immer unbehaglich.«
»Benny hat sich ein bisschen geschämt, weil er gezeichnet hat«, sagt Mrs. White mit zittriger Stimme. »Ich glaube, er hat seine Angel dabei gehabt, weil er meinte, damit sieht er aus wie die anderen Jungs. Ich glaube, er hat nicht mal Köder mitgenommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er einen Wurm hätte umbringen sollen, geschweige denn einen Fisch.«
»Brot«, sagt Mr. White. »Er hat Brot mitgenommen, das hat er dann zu kleinen Bällchen gerollt. Ich habe ihm gesagt, dass er mit Brot als Köder nichts Großes angeln wird.«
Ich sehe Anzüge, Hosen und Hemden auf Kleiderbügeln, auf dem Boden stehen Schuhe aufgereiht. Die Kleidung ist konservativ, und vermutlich haben seine Eltern sie für ihn ausgewählt. An der Rückwand des Schranks lehnt ein Daisy BB Gewehr, und Mr. White erklärt, Benny habe damit au f Blechdosen geschossen.
Nein, er hat niemals damit auf Vögel oder andere Tiere gezielt. Natürlich nicht. Er brachte es nicht einmal über sich, einen Fisch zu fangen, versichern mir beide Elternteile noch einmal. Auf seinem Schreibtisch steht ein Stapel Schulbücher und eine Schachtel mit Magic Marker. Darauf liegt ein Skizzenblock. Ich frage die Eltern, ob sie sich den Block angesehen hätten. Nein, haben sie nicht. Ob ich ihn ansehen dürfe? Sie nicken. Ich stehe vor dem Schreibtisch. Ich nehme den Skizzenblock vorsichtig in die Hand und blättere ebenso vorsichtig um, betrachte die detailgenauen Bleistiftzeichnungen. Die erste zeigt ein Pferd auf einer Weide und ist erstaunlich gut. Dann folgen mehrere Skizzen von einem Falken in einem kahlen Baum, Wasser im Hintergrund. Ein alter, halb zusammengebrochener Zaun. Schneelandschaften. Der Block ist zur Hälfte voll, und die Zeichnungen passen zueinander, bis auf die letzten. Die Stimmung und der Gegenstand haben sich völlig verändert. Ein Friedhof bei Nacht, der Vollmond hinter kahlen Bäumen scheint auf schiefe Grabsteine. Dann eine Hand, eine kräftige Hand, die zur Faust geballt ist. Und als Letztes der Hund. Er ist dick und unscheinbar und fletscht die Zähne, die Nackenhaare aufgestellt, und er duckt sich, als würde er bedroht. Ich blicke zu den Whites. »Hat Benny jemals über Kiffins Hund gesprochen?«, frage ich sie. »Einen Hund namens Mr. Peanut?« Der Stiefvater blickt
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