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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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betrachtet. Es ist anders, wenn man mit einem Mörder konfrontiert ist, der einer anderen Person ein Messer an die Kehle hält oder nach einer Pistole greift, um dich zu erschießen. Eine Sünde wäre es, nichts zu tun, einen Unschuldigen sterben zu lassen, dich selbst töten zu lassen. Ich empfinde kein Bedauern«, sage ich zu Anna. »Was empfindes t du?«
    Ich schließe einen Augenblick die Augen, der Feuerschein tanzt über meine Lider. »Krank. Ich kann nicht an diese Tode denken, ohne mich krank zu fühlen. Was ich getan habe, war nicht falsch. Ich hatte keine Wahl. Aber ich würde es auch nicht richtig nennen, wenn du den Unterschied verstehst. Als Temple Gault vor meinen Augen verblutete und mich bat, ihm zu helfen - es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie ich mich dabei fühlte und wie es sich jetzt anfühlt, mich daran zu erinnern.«
    »Das war in dem U-Bahntunnel in New York. Vor vier oder fünf Jahren?«, fragt sie, und ich antworte mit einem Nicken. »Carrie Grethens früherer Komplize. Gault war in gewissem Sinn ihr Mentor. Stimmt das?« Wieder nicke ich. »Interessant«, sagt sie. »Du hast Carries Partner umgebracht und sie deinen.
    Gibt es da vielleicht eine Verbindung?«
    »Ich habe keine Ahnung. So habe ich die Sache nie betrachtet.« Der Gedanke erschreckt mich. Er ist mir nie zuvor in den Sinn gekommen und scheint doch auf der Hand zu liegen. »Hatte Gault es verdient zu sterben, deiner Ansicht nach?«, fragt Anna als Nächstes.
    »Manche Leute würden sagen, dass er sein Recht, auf dieser Welt zu sein, verwirkt hatte und wir alle ohne ihn besser dran sind. Aber, mein Gott, wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich lieber nicht diejenige gewesen, die das Urteil vollstreckt hat, Anna. Nie und nimmer. Blut sickerte durch seine Finger. Ich sah Angst in seinen Augen, Todesangst, Panik, das Böse in ihm war verschwunden. Er war nur noch ein Mensch, der starb. Und ich hatte diesen Tod verursacht. Und er weinte und bat mich, die Blutung zu stoppen.« Ich schaukle nicht mehr. Ich spüre, dass Anna sich voll und ganz auf mich konzentriert. »Ja«, sage ich schließlich. »Ja, es war schrecklich. Einfach nur schrecklich. Manchmal träume ich von ihm. Weil ich ihn getötet habe, wird er immer ein Teil von mir sein. Das ist der Preis, den ich zahle.«
    »Und Jean-Baptiste Chandonne?«
    »Ich will niemandem mehr wehtun.« Ich starre in das erlöschende Feuer.
    »Lebt er nicht zumindest?«
    »Das tröstet mich nicht. Wie sollte es das? Leute wie er hören nicht auf, anderen wehzutun, auch wenn sie im Gefängnis sitzen. Das Böse lebt weiter. Das ist das große Rätsel für mich. Ich will nicht, dass sie getötet werden, aber ich weiß um den Schaden, den sie anrichten, während sie leben. Wie man es auch betrachtet, man kann nur verlieren«, sage ich zu Anna.
    Anna entgegnet nichts. Ihre Methode besteht darin, öfter zu schweigen, als ihre Meinung zu äußern. Verzweiflung schnürt mir die Brust zusammen, und in meinem Herzen pocht Furcht. »Ich würde vermutlich bestraft werden, wenn ich Chandonn e getötet hätte«, sage ich. »Und ich werde zweifellos bestraft werden, weil ich es nicht getan habe.«
    »Du hättest Bentons Leben nicht retten können.« Annas Stimme füllt den Raum zwischen uns. Ich schüttle den Kopf, während meine Augen in Tränen schwimmen. »Meinst du, du hättest in der Lage sein müssen, auch ihn zu verteidigen?«, fragt sie. Ich schlucke, und die Schmerzen dieses grauenhaften Verlusts rauben mir die Sprache. »Hast du ihn im Stich gelassen, Kay? Und musst jetzt büßen, indem du andere Ungeheuer zur Strecke bringst? Tust du es für Benton, weil du zugelassen hast, dass Ungeheuer ihn ermorden? Weil du ihn nicht gerettet hast?«
    Meine Hilflosigkeit, meine Empörung borden über. »Er hat sich selbst nicht gerettet, verdammt noch mal. Benton ging zu diesem Mord, wie ein Hund oder eine Katze davongeht, um zu sterben, weil es an der Zeit ist. Himmel!« Ich habe es ausgesprochen. »Himmel! Benton hat ständig über Falten und schlaffes Fleisch, über Zipperlein und Schmerzen gejammert, auch schon während der frühen Jahre unserer Beziehung. Wie du weißt, war er älter als ich. Vielleicht hat ihm deswegen das Altern noch mehr zugesetzt. Ich weiß es nicht. Aber als er Mitte vierzig war, konnte er in keinen Spiegel sehen, ohne den Kopf zu schütteln und zu nörgeln, >Ich will nicht alt werden, Kay.< Das hat er immer gesagt. Ich erinnere mich an einen späten Nachmittag, als wir

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