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Das letzte Revier

Das letzte Revier

Titel: Das letzte Revier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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zerschlagen könnte. Aber wir haben Schwierigkeiten, Chandonne im Haus der Familie zu platzieren. Ja, wir haben nichts, womit wir seine Identität beweisen könnten. Keinen Führerschein. Keinen Pass und keine Geburtsurkunde. Keinen Beleg, dass dieser bizarre Mann überhaupt existiert. Nur seine DNS, die der DNS des Mannes, den Sie im Container gefunden haben, so ähnlich ist, dass wir von einer verwandtschaftlichen Beziehung ausgehen können. Wahrscheinlich sind sie Brüder. Aber ich brauche etwas Greifbareres als das, wenn ich die Geschworenen auf meine Seite ziehen will.«
    »Und seine Familie wird uns den Gefallen nicht tun und den Loup-Garou als ihren Sohn outen«, sagt Marino in schrecklichem Französisch. »Deswegen gibt es erst gar keine Akten über ihn, stimmt's? Die mächtigen Chandonnes wollen nicht, dass die Welt erfährt, dass sie einen Sohn haben, der ei n haariger Serienmörder ist.«
    »Moment mal«, sage ich. »Hat er sich nicht identifiziert, als er festgenommen wurde? Woher haben wir den Namen Jean-Baptiste Chandonne, wenn nicht von ihm?«
    »So ist es.« Marino reibt sich das Gesicht mit den Händen. »Scheiße. Zeigen Sie ihr das Video«, fährt er plötzlich Berger an. Ich habe keine Ahnung, von welchem Video er spricht, und Berger ist alles andere als glücklich, dass er es erwähnt hat. »Der Doc hat das Recht, Bescheid zu wissen«, sagt er.
    »Wir haben es hier mit einer neuen Wendung im Fall eines Angeklagten zu tun, von dem wir ein DNS-Profil, aber keine Identität haben.« Berger will von dem Thema ablenken, das Marino eben angesprochen hat.
    Was für ein Video?, denke ich, und Paranoia wallt in mir auf. Was für ein Video?
    »Haben Sie es dabei?« Marino fixiert Berger mit unverhohlener Feindseligkeit. Die beiden bilden ein steinernes Tableau, einander wütend über den Tisch hinweg anstarrend. Sein Gesicht wird rot. Ungeheuerlicherweise greift er nach ihrer Aktentasche und zieht sie zu sich rüber, als habe er vor, sich ungefragt zu ihrem Inhalt zu verhelfen. Berger legt ihre Hand auf die Tasche. »Captain!«, warnt sie ihn in einem Tonfall, der Marino den Ärger seines Lebens verheißt. Marino zieht seine Hand zurück, sein Gesicht puterrot. Berger öffnet ihre Aktentasche und sieht mich aufmerksam an. »Ich habe immer vorgehabt, Ihnen das Video zu zeigen.« Ihre Worte sind wohl bedacht. »Ich wollte es bloß nicht jetzt gleich tun, aber bitte.« Sie ist sehr beherrscht, aber ich sehe ihr an, dass sie maßlos verärgert ist, während sie eine Kassette aus einem Umschlag nimmt. Sie steht auf und schiebt sie in den Rekorder. »Kann jemand das Ding bedienen?«

11
     
    Ich schalte das Fernsehgerät ein und reiche Berger die Fernbedienung.
    »Dr. Scarpetta« - sie ignoriert Marino vollkommen - »bevor wir hiermit anfangen, möchte ich Ihnen ein paar Hintergründe darüber geben, wie die Staatsanwaltschaft in Manhattan arbeitet. Wie schon erwähnt, machen wir ein paar Dinge anders, als Sie es hier in Virginia gewöhnt sind. Ich hatte gehofft, ich könnte Ihnen das alles erklären, bevor Sie sich das ansehen müssen. Ist Ihnen unser System, Mordfälle zu behandeln, ve rtraut?«
    »Nein«, sage ich, und meine Nerven spannen sich und beginnen zu vibrieren.
    »Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche hat ein Staatsanwalt Dienst für den Fall, dass ein Mord passiert oder die Polizei einen Mordverdächtigen stellt. Wie ich bereits erklärt habe, kann die Polizei in Manhattan keinen Verdächtigen festnehmen, ohne dass die Staatsanwaltschaft ihr Placet gibt. Diese Vorgehensweise soll sicherstellen, dass alles -Durchsuchungsbefehle zum Beispiel - ordnungsgemäß ausgeführt wird. Es ist üblich, dass der Staatsanwalt mit zum Tatort kommt, und wenn der Verdächtige verhaftet ist und reden will, stürzen wir uns auf ihn. Captain Marino«, sagt sie und blickt ihn kühl an, »Sie haben beim NYPD angefangen, aber das war wahrscheinlich, bevor diese Regelungen getroffen wurden.«
    »Habe nie zuvor davon gehört«, murmelt er, sein Gesicht noch immer gefährlich rot.
    »Und von vertikaler Strafverfolgung?«
    »Hört sich an wie eine Beischlafstellung«, sagt Marino. Berger tut so, als hätte sie ihn nicht gehört. »Morgenthaus Idee«, sagt sie zu mir.
    Robert Morgenthau ist seit nahezu fünfundzwanzig Jahren Oberstaatsanwalt von Manhattan. Er ist eine Legende. Offensichtlich arbeitet Berger gern für ihn. Tief in mir rührt sich etwas. Neid? Nein, vielleicht Wehmut. Ich bin müde. Ich fühle

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