Das letzte Riff
Begleitschutz unzureichend ist – was er an jenem Tag zweifellos war. Manchmal kann man den Schiffen befehlen, sich zu sammeln, so daß das Feuer jedes einzelnen das aller anderen verstärkt. So macht es die East India Company häufig. Andererseits kann man den Schiffen befehlen, sich zu zerstreuen. Dann opfert man die langsamen.«
Alle starrten Herrick an, als dieser rief: »Das habe ich nicht gefragt!«
Cotgrave biß sich auf die Lippen. »Stimmt, Sir Richard. Also beantworten Sie bitte seine Frage!«
»Auch wenn Sie damit einem Freund schaden«, kam es hart von Hamett-Parker. »Sie sind ein Mann von Ehre, Sir. Wir warten auf Ihre Antwort.«
Bolitho versuchte, Herricks Gedanken zu ergründen, seine Absicht zu erkennen. Was willst du? dachte er. Was verlangst du von mir? Da war doch irgend etwas in seinem Gesicht, etwas wie Spott, ein spöttisches Lächeln.
Wieder mal ein Triumph für dich.
Leise antwortete Bolitho: »Ich hätte nicht das Gleiche getan.«
Hamett-Parker preßte die Fingerspitzen zusammen und legte den Kopf schief wie ein wachsamer Vogel. »Einige im Raum werden Ihre Antwort nicht verstanden haben, Sir Richard.«
Kühl musterte ihn Bolitho. »Ich sagte, ich hätte es nicht getan!«
Herrick setzte sich. »Danke. Ein Mann von Ehre!«
Bolitho starrte ihn an. Herrick hatte ihn gezwungen, eine Antwort zu geben, nach der er mit Sicherheit verurteilt werden mußte. Und es war absichtlich und mit Härte geschehen.
Hamett-Parker nickte langsam. »Haben Sie noch etwas hinzuzufügen, Sir Richard?«
»Ich kann nur sagen, der Angeklagte ist ein tapferer und treuer Offizier. Ich habe neben ihm gedient und kenne alle seine Vorzüge. Er hat mein Leben gerettet und das seinige für unser Vaterland in die Bresche geworfen!«
Cotgrave räusperte sich. »Mancher wird annehmen, Sir Richard, daß Sie da nicht unvoreingenommen sind.«
Ärgerlich drehte Bolitho sich zu ihm um. »Warum auch? In Gottes Namen, wozu hat man denn gute Freunde?«
Hamett-Parker unterbrach: »Wir machen eine Pause, meine Herren. Danach wird uns Kapitän Gossage hier erklären, was der Konteradmiral an jenem Tag vorhatte.«
Bolitho wartete, bis sich die Achterkajüte geleert hatte; er saß allein, den Kopf auf die Hände gestützt.
Keen näherte sich ihm leise. »Ich habe draußen gehorcht, Sir Richard, und alles gehört. Man wird die härteste Strafe verlangen.«
Erschüttert sah er Tränen in Bolithos Augen, als dieser aufblickte.
»Herrick hat sich gerade selbst das Todesurteil gesprochen, Val. Aber warum?«
Die Frage blieb ohne Antwort.
Lady Catherine Somervell stand neben einem Fenster und spielte geistesabwesend mit dem Vorhang. Die Dächer der Werfthallen glänzten im Regen, doch der Sonnenschein schien schon nahe zu sein, und der Wind wehte ebenfalls Wärme heran. Ihr aber war das alles gleichgültig.
Sie mußte an die
Black Prince
denken, die irgendwo unsichtbar hinter den hohen Gebäuden lag. Das Kriegsgericht hatte seine Sitzung wieder aufgenommen, und Richard würde jetzt versuchen, seinen Freund zu verteidigen.
Sie blickte über die Schulter zurück und beobachtete Sophie, ihr neues Mädchen. Das glänzende Haar hing ihr tief ins Gesicht, als sie eins von Catherines Kleidern sorgfältig für die Reise zusammenlegte. Man hätte Sophie für eine Spanierin halten können. Ihre Mutter hatte einen spanischen Händler geheiratet, der kurz nach der Revolution in Frankreich verschwunden und nie wieder aufgetaucht war. Er hinterließ eine Witwe mit drei Kindern, von denen Sophie das jüngste war. Sie hatte bei einem Schneider in Whitechapel gelernt und war schon nach einem Jahr eine hervorragende Näherin geworden. Dann erkrankte ihre Mutter und bat Lady Catherine, Sophie in ihre Dienste zu nehmen. Sie ahnte, daß sie bald sterben würde, und London war kein Ort, an dem sich ein anständiges Mädchen allein durchschlagen konnte. Fühlte Sophie keine Trauer um ihre Mutter, oder verbarg sie die nur? Ich muß sie gelegentlich fragen, dachte Catherine, wie es der Familie vorher ergangen ist.
»Ob wohl wieder ein Schuß abgefeuert wird, wenn die Sitzung des Kriegsgerichts beendet ist?«
Sophie hielt inne. »Das weiß ich nicht, Mylady.«
Catherine lächelte ihr zu. Sophie sprach wie eine waschechte Londonerin, die auf der Straße groß geworden war. Catherine hatte diesen Dialekt früher auch beherrscht – von Jugend an. Es war gut, gelegentlich daran erinnert zu werden.
Sie drehte den wertvollen Ring an ihrem Finger, den
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