Das letzte Riff
Bolitho ihr bei Keens Hochzeit an die linke Hand gesteckt hatte, als könne sie Kraft daraus gewinnen. Doch wie immer fürchtete sie sich vor ihrer nächsten Trennung. Bolitho auf seinem Schiff, zwischen seinen Männern – er bot ein Ziel für jeden feindlichen Scharfschützen, genau wie der gefallene Lord Nelson.
Catherine schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben. Die lange Reise zum Kap und zurück lag noch vor ihnen. Sicher war es an Bord nicht bequem, doch sie würde jede Sekunde Zusammensein mit ihm genießen.
Wenn Richard spät abends zurückkehrte, würde sie ihm helfen, das Urteil zu vergessen. Sie hob die Hand in den ersten Sonnenstrahl und drehte den Ring, bis die Diamanten und Rubine funkelten. Damals in der Kirche hatte Richard ihre Hand genommen und gesagt:
»Vor Gott sind wir verheiratet, Liebste.«
Es klopfte an der Tür, ein Hausmädchen trat ein und knickste unbeholfen. »Unten wartet ein Herr. Er bittet Sie um ein Gespräch, Mylady.« Das Mädchen gab ihr einen Briefumschlag, den es in der Schürzentasche getragen hatte.
Catherine riß den Umschlag auf und trat damit ans Fenster. Kein Brief, nur eine geprägte Visitenkarte. Sie dachte einen Augenblick nach, dann erinnerte sie sich an das Gesicht: Sillitoe. Sir Paul Sillitoe, den sie auf Godschales Empfang getroffen hatte.
Sie war immer noch nicht sicher, ob er ein Freund oder Gegner Richards war. Doch er hatte sich ihr gegenüber auf seine verhaltene Art sehr freundlich gezeigt.
»Ich komme nach unten.«
Der große Flur war leer, durch ein Fenster zur Straße sah sie draußen eine elegante Kutsche mit einem Paar Grauschimmeln davor. Sillitoe stand mit gespreizten Beinen in dem kleinen Empfangsraum, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Als sie eingetreten war, ergriff er ihre Hand und führte sie an seine Lippen.
»Sie erweisen mir eine große Ehre, Lady Catherine, wenn Sie mich empfangen, ohne daß ich mich rechtzeitig angemeldet habe.« Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte. »Ich muß dringend nach London zurück, doch ich wollte Sie unbedingt sehen, ehe Sie zum Kap aufbrechen.«
»Stimmt etwas nicht, Sir Paul? Werden wir nun doch nicht reisen?«
»Was sollte nicht stimmen?« Er betrachtete sie neugierig.
»Warum sollten Sie nicht reisen?« Er ging an ihr vorbei und hielt einen Augenblick an ihrem Stuhl inne, als wolle er ihr eine Hand auf die Schulter legen. Sie merkte, wie sie sich abwehrbereit machte. »Ich dachte nur, daß Sie eine so lange Reise unter lauter stinkenden Matrosen nicht ganz angenehm finden werden. Ich hätte mir so etwas für Sie nicht ausgedacht.«
»Ich bin an Schiffe gewöhnt«, antwortete sie mit blitzenden Augen, »und an Matrosen auch!«
»Es war nur so ein Gedanke, aber er hat mich mehr bewegt, als ich jemals einem Fremden gegenüber zugeben würde. Einen Augenblick hatte ich gehofft, Sie würden vielleicht hierbleiben, ich könnte Sie ausführen und wenigstens eine Zeitlang Ihr Begleiter sein.«
»Sind Sie deswegen gekommen?« Catherine war überrascht, wie ruhig sie sein Ansinnen aufgenommen hatte und wie kühl es vorgetragen worden war. »Wenn dem nämlich so ist, dann gehen Sie bitte sofort. Sir Richard hat genug zu bedenken, er soll sich nicht auch noch wegen Treuebruch Sorgen machen. Ich muß schon sagen, Sir Paul, wie können Sie mir nur solch eine Frage stellen! Aber Sie wagen offenbar alles?«
»Ja, natürlich.« Er sah zur Seite. »Wie sehr ich Sir Richard beneide!« Er suchte nach Worten. »Darf ich fragen, Lady Catherine, nennt er sie Kate?«
»Ja. Und nur er allein!«
Sillitoe seufzte. »Ihre bezaubernde Gegenwart verwirrt mich. Ich werde immer Ihr Freund sein – und mehr, falls Sie das je wünschen. Das wollte ich Ihnen nur sagen.« Er trat auf sie zu, während sie sich erhob. »Bitte bleiben Sie sitzen, Lady Catherine. Ich muß noch ein Stück auf dem Weg nach London zurücklegen, ehe es Nacht wird.« Gegen ihren Willen nahm er ihre Hand, hielt sie fest und schaute ihr in die Augen.
»Ich kannte Ihren verstorbenen Gatten, den Viscount Somervell. Er war ein Narr und bekam, was er verdiente.« Sillitoe küßte ihre Hand und nahm seinen Hut von einem Stuhl.
»Gute Reise, Lady Catherine.«
Noch lange, nachdem Sillitoe sie verlassen hatte, saß sie in dem kalten, leeren Empfangszimmer und starrte auf die Tür. Draußen wurde es langsam dunkel. »Von allen Seiten greifen sie dich an«, hatte sie morgens zu Richard gesagt. Sillitoes Besuch war ein weiterer Beweis
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