Das letzte Riff
nicht.«
Lady Lucinda lächelte. »Er bezahlt schließlich die meisten deiner Rechnungen.«
»Soll
ich
denn für alles aufkommen? Elizabeths Erziehung, ihr Musikunterricht, die Ballettschule – das ist teuer genug.«
»Es ist ja auch zu schlimm. Noch immer redet die ganze Stadt über die beiden. Dabei ist Catherine auch noch so stolz auf ihre Beziehung wie eine gemeine Dirne.« Sie sah Belinda von der Seite an. »Würdest du ihn nehmen, wenn er wiederkäme?«
Belinda dachte an ihre Begegnung mit Catherine in jenem stillen Haus in Kent, in dem Dulcie Herrick sterbend gelegen hatte. Noch immer zitterte sie in der Erinnerung. Sie hätte sich so leicht anstecken können! Diese dreimal verdammte Frau war noch stolz, trotz ihres skandalösen Benehmens. Als Belinda ihre Beherrschung verloren und Catherine angeschrieen hatte: »Ich hoffe, Sie sterben hier!« hatte Catherine kalt und verächtlich geantwortet: »Selbst dann wird er nicht zu Ihnen zurückkehren!«
»Ihn zurücknehmen? Das weiß ich noch nicht. Aber auf keinen Fall mache ich Geschäfte mit einer Hure!«
Lady Lucinda spazierte zufrieden weiter. Sie hatte die Wahrheit geahnt: Belinda würde den Mann wieder in ihr Bett nehmen, zu welchem Preis auch immer. Sie dachte an ihr letztes Treffen mit Bolitho. Kein Wunder, daß Lady Somervell vor Skandalen keine Angst hatte. Wer hätte sich mit so einem Mann an der Seite vor irgend etwas fürchten müssen?
»Was macht er jetzt? Hast du mal wieder von ihm gehört?« Belinda mißfiel die ständige Neugier ihrer Freundin.
»Wenn er mir schreibt, verbrenne ich seine Briefe ungelesen.«
Doch die Lüge schmeckte ihr nicht.
Ein Mann löste sich aus dem Dunkel, einen Karren, auf dem ein zweiter hockte, vor sich her schiebend. Beide trugen alte Kleider, doch man sah sofort, es waren ehemalige Seeleute.
Lady Lucinda hob ein Taschentuch an die Nase. »Überall diese Bettler! Warum unternimmt man nichts gegen sie?« Belinda betrachtete den Mann auf dem Karren. Er hatte keine Beine mehr und war offensichtlich blind. Sein Kopf schaukelte hin und her, als sein Kumpel anhielt. Der hatte nur noch einen Arm und eine so tiefe Narbe an der rechten Schläfe, daß er an der Wunde eigentlich hätte sterben müssen.
Zögernd fragte der blinde Krüppel: »Wer ist da, John?«
Belinda, die ihren ersten Mann bis zu dessen Tod gepflegt hatte, erschrak. Der gleiche Name: John. Und so hieß auch Richards treuer Bootssteurer Allday, seine Eiche, wie er ihn nannte.
»Zwei feine Damen, Jamie.« Der Armlose streckte einen Fuß vor, damit der Karren nicht weiterrollen konnte. Dann zog er aus einer Tasche einen Becher, den er den Damen entgegenstreckte.
»Einen Penny, Madam. Nur einen Penny!«
»Verdammte Frechheit!« Lady Lucinda nahm Belindas Arm. »Komm. Die sollten sich hier wirklich nicht herumtreiben dürfen.«
Sie gingen weiter.
Der Mann steckte den Becher zurück in den alten Mantel. Und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. »Der Himmel wird sie dafür bestrafen, Jamie.«
Der Blinde hob den Kopf. »Anderswo haben wir vielleicht mehr Glück.«
Auf der anderen Seite des Platzes hielt Belinda an, plötzlich unsicher geworden.
»Was ist?«
»Ich weiß nicht.« Sie schaute zurück, aber die beiden Krüppel waren schon verschwunden. Oder waren sie gar nicht dagewesen? Sie bekam eine Gänsehaut. »Richard hat mir immer von seinen Männern erzählt. Auch von solchen wie diesen beiden …« Sie drehte sich wieder um. »Ich hätte ihnen doch etwas geben sollen.«
Lady Lucinda kniff sie lachend in den Arm. »Du bist schon seltsam!« Dann zeigte sie auf eine Kutsche vor Belindas Haus. »Du hast Besuch, und ich habe wieder nichts Neues an!«
Belinda versuchte, den Mann zu vergessen, der ihr den Becher entgegengestreckt hatte. Er hatte auf dem Handrücken eine Tätowierung getragen: gekreuzte Flaggen und einen Anker. Selbst durch den Schmutz auf der Haut hatte sie die Zeichnung deutlich erkannt.
Die Haustür öffnete sich, noch ehe sie die erste Stufe betreten hatten. Ein Dienstmädchen nahm ihnen erleichtert die Sonnenschirme ab. »Hier ist ein Herr, der Sie sprechen möchte, Mylady.«
Kopfschüttelnd fragte Belinda: »Was für ein Herr? Drück dich klarer aus!«
Der Besucher trat beim Klang ihrer Stimme aus dem Empfangszimmer – und ihr Herz stand fast still. Es war ein Kapitän mit zwei Epauletten und ernstem Gesicht. Er schien lange gewartet zu haben.
»Lord Godschale schickt mich, Mylady. Ich hielt es für zu eilig, um
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