Das letzte Riff
hören. Auch Jenour starrte zu den beiden hinüber, so vertieft in den Anblick, als wolle er sie zeichnen.
Bezant stöhnte: »Es ist nicht mehr weit. Wenn ich doch nur das Schiff steuern könnte, dann wüßte ich, ob wir’s schaffen.«
Allday hing mit seinem ganzen Gewicht an den Speichen und spürte, wie das Schiff gegen den Wind, gegen die See und gegen ihn selber kämpfte – alles zur gleichen Zeit. Er beobachtete die tanzende Linie von Brechern mit den gelegentlichen Zwischenräumen. Aus der geschlossenen Last dröhnte trunkenes Gelächter. Er beneidete die Meuterer um den Rum. Nur einen Becher voll, ehe sie auflief … Aber dann biß er die Zähne zusammen und dachte wieder an die Frau, die er zu Hause vor Räubern gerettet hatte. Er fühlte die alte Verzweiflung in sich wachsen: immer wieder Abschied und Schmerz. Schiffe sanken, vertraute Gesichter wurden ausgelöscht. Eigentlich war er ja darauf gefaßt, wenn es ihn mal erwischen sollte. Aber doch nicht so jämmerlich wie hier … Keen ging an ihm vorbei, seine Schuhe rutschten über das nasse Deck. Allday hörte ihn zu Bolitho sagen. »Ich hab’ dem Bootsmann erklärt, was geschehen wird. Er wird uns im Kutter folgen, wir nehmen die kleinere Jolle. Hinter dem Riff wird es dann sicher leichter.«
Bolitho fragte leise: »Also haben wir keine Chance, die Passage zu finden?«
Keen sah ihn nur stumm an und zuckte nicht einmal zusammen, als der Lotgast ausrief: »Siebzehn Faden, Sir!«
»Es wird schon flacher«, sagte er dann. »Ohne das Gold hätten wir …« Er zuckte mit den Schultern. Es brauchte keine weiteren Worte.
Bolitho deutete auf die Luke. Die Eingeschlossenen brüllten und lachten darunter noch immer wie Geisteskranke. Aber Tasker oder einer der anderen Wortführer mußte doch etwas ahnen … »Zehn Faden!« So nahe waren sie also schon. Der Bootsmann und seine Helfer schauten sich um, wußten nicht recht, was zu tun war. Ihr eigener Skipper war kaum noch in der Lage, Allday Ruderkommandos zu geben. Der geblendete Steuermann war wahrscheinlich schon tot, und der Zweite Offizier hatte sich mit den anderen unten bei dem Gold eingeschlossen. Jeden Augenblick konnte jetzt Panik ausbrechen und ein Wettlauf in die Boote beginnen.
Bolitho rief: »Mr. Britton, wenn wir von Bord gehen, bleiben Sie in der Nähe unserer Jolle. Hinter dem Riff können wir Segel setzen und uns freikreuzen.« Er sah Catherine in Kniehose und Rüschenhemd an. »Mit einem Seemann mehr sind wir jetzt eine starke Crew.«
Ein paar Augenblicke herrschte Stille. Bolitho glaubte schon, er sei nicht verstanden worden. Dann rief Britton, dessen Wunde das Spritzwasser gut gesäubert hatte: »Ein Hurra auf unseren Dick, Jungs! Der wird es schaffen!«
William Owen, der erfahrene Lotgast, schwang die Leine über dem Kopf im Kreis und ließ das vierzehn Pfund schwere Blei weit vor dem Bug in die See fallen. Später war er sicher, gesehen zu haben, wie das Riff anstieg, um sie zu fangen, gerade als das Lot knapp den Tiefgang der Barkentine anzeigte und er aussang: »Drei Fuß!« Alles andere geschah in Sekundenschnelle.
Die Brandung brach sich im grausam grellen Sonnenlicht hoch über dem Bugsprit. Und dann setzte die
Golden Plover
mit fürchterlichem Krachen zum erstenmal auf. Owen stieg aus der Schürze, die den Lotgast auf seinem Platz sicherte, kletterte nach oben und ließ sich flach hinfallen, als ein gewaltiger Schatten über ihn wegrauschte und aufschlagend Splitter in alle Richtungen schickte; Leinwand knallte und riß. Der Vortopp war mit schlagenden Blöcken und allem Gut von oben gekommen und donnernd über die Seite gefallen. Jemand schrie. Owen bückte sich wieder und wich den niederprasselnden Spieren und Segeln aus.
Er starrte nach achtern. Dort hatten sie es geschafft, sich vom schlagenden Besansegel zu befreien, das sie nur noch höher aufs Riff trieb. Aber die Dünung allein schaffte das auch. Sie hob den Rumpf an und ließ ihn ein zweites Mal auf das Riff krachen.
Owen rannte dahin, wo er so etwas wie Ordnung erkannte. Männer hielten sich an zerrissenem Tauwerk fest und duckten sich vor dem wütenden Angriff des Wassers. Halb betäubt starrte er die große weiße Gestalt am Rad an, bis ihm klar wurde, daß es die Lady des Admirals war. Er sah auch Bolitho, der auf eine Luke zeigte, die ein Seemann wie wild mit seinem Musketenkolben bearbeitete.
Bolitho ließ Bezant auf die Seite tragen, wo die Boote festgemacht waren, bereit bemannt zu werden und
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