Das letzte Riff
hatte sie ihr Wiedersehen schon in Gedanken durchgespielt? Es war ihr fast zur Qual geworden, und während die Wochen und Monate verstrichen, hatte sie seine Rückkehr fürchten gelernt.
Wenn Catherine doch hier wäre! Sie war mitfühlend, hatte Erfahrung und wußte vieles. Zenoria schaute sich in der großen Halle um. Ich muß an Val glauben, sagte sie sich. Aber ihr schien, als hallten die Worte leer von den kühlen Mauern wider.
Sie hörte Pferdegetrappel im Hof. Vielleicht spannte Matthew an, um Ferguson und seine Frau in die Kirche zu fahren. Sie hielt inne. Es waren nicht die beiden Kutschpferde, sondern nur ein Pferd. Aus dem Geräusch seiner Hufe auf den Steinen war zu entnehmen, daß es unruhig tänzelte und schwer zu bändigen war. Jemand hatte es hart geritten. Ein Besucher also.
Dann hörte sie Fergusons Stimme, unterdrückt und zögernd, so daß sie nichts verstand. Jemand trat in die Halle, und nun war kein Irrtum mehr möglich: das Gold der Litzen, der Dreispitz und das Klappern des Degens: Adam.
Zenoria griff sich an die Brust und fühlte, wie sie errötete. Adam sollte doch eigentlich jetzt in Plymouth sein … Sie sah sich im Spiegel und erschrak selbst über die Freude in ihren Augen.
Sie drehte sich um, ihn zu begrüßen. »Sie überraschen mich wieder, Kapitän Adam!« Aber er reagierte nicht auf ihr freundliches Spötteln, und plötzlich spürte sie eisige Kälte, trotz aller Wärme draußen.
»Was ist, Adam? Haben Sie Kummer?«
Er antwortete nicht, warf nur seinen Hut auf einen Stuhl. Sie sah den Staub auf seinen Stiefeln, die Flecken auf den Breeches, alles Zeichen größter Eile.
Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern und schaute ihr lange in die Augen. Leise sagte er: »Ich komme mit schlechten Nachrichten, Zenoria. Seien Sie so stark wie ich, seit ich es weiß.«
Sie wehrte sich nicht, als er sie an sich zog. Später wußte sie, daß sie sich in diesem Augenblick nicht Zärtlichkeit suchend an ihn gelehnt hatte, sondern um ihr Gesicht an seiner Schulter zu bergen, Schutz zu finden vor dem Schrecklichen.
»Es wurde gemeldet, daß die Barkentine
Golden Plover
bei ihrer Reise nach Kapstadt auf ein Riff an der Westküste Afrikas gelaufen ist.«
Sie hörte sein Herz schlagen. Im gleichen monotonen Ton fuhr er fort: »Ein kleines portugiesisches Handelsschiff wurde von einem unserer Schiffe gestoppt. So kam die Nachricht zu uns.« Er hielt inne, zählte die Sekunden und schloß: »Es gab keine Überlebenden.«
Erst dann schob er sie sanft von sich und trat vor die Porträts an der Wand. Wahrscheinlich ohne sich dessen bewußt zu sein, berührte er auf einem der Bilder den alten Familiendegen. Er würde ihn also nie tragen.
»Ist es denn sicher, Adam?«
Er drehte sich um. »Mein Onkel ist der beste Seemann, den es gibt. Der fairste von allen, geliebt von jedem, der ihn kennengelernt hat. Aber – es war nicht sein Schiff, verstehen Sie?«
Sie versuchte zu verstehen, doch das einzige, was sie begriff, war: Ihr Ehemann, der ihr alles gegeben hatte, war jetzt nur noch eine Erinnerung. Wie alle, deren Andenken in diesem Haus lebte und die auf der Ehrenliste genannt waren.
Adam sagte: »Ich habe Ferguson gebeten, es den Dienern beizubringen. Morgen wird es ganz Falmouth wissen.« Plötzlich dachte er an Belinda. »So wie ganz London es schon weiß!«
Dann erinnerte er sich an ihre Frage. »Natürlich besteht immer Hoffnung. Aber es ist nicht klug, zu sehr zu hoffen.« Er sah sie wieder an, schien ihr fern, unnahbar. »Ich habe um ein frisches Pferd gebeten, denn ich muß sofort zum Squire hinüberreiten. Ich möchte nicht, daß Tante Nancy es als Straßengerücht erfährt.« Zum erstenmal verriet er, was er wirklich empfand. »Mein Gott, sie hat ihn so verehrt!«
Zenoria fühlte seine Verzweiflung. »Was kann ich tun, Adam?«
»Tun?« Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Sie müssen hierbleiben. Das hätte er sicher gewollt.« Er zögerte.
»Auch Ihr Mann hätte es so gewollt. Es tut mir so leid … Ich werde Mrs. Ferguson bitten, Ihnen Gesellschaft zu leisten.«
Ein Pferd wurde in den Hof geführt, aber diesmal erklangen dabei keine frohen Stimmen.
»Bitte, kommen Sie bald wieder, Adam. Keiner von uns sollte jetzt allein sein.«
Gefaßt sah er sie an. »Ich habe Ihren Mann sehr verehrt, Zenoria. Und ihn über jedes vernünftige Maß hinaus beneidet.« Er trat an sie heran und küßte sie auf die Stirn. »Und ich tue es immer noch.«
Dann war er verschwunden.
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