Das letzte Riff
behalten.
Keen rief: »Alle Leinen belegen, Mr. Sedgemore!« Und laut genug für seine Umgebung fügte er hinzu: »Das war sehr gut. Zwei Minuten schneller als beim letzten Mal.«
Tatsächlich sah Bolitho einige der atemlosen Matrosen zögernd grinsen. Es war ein Anfang.
»Wahrscheinlich segelt der Holländer im Auftrag der Franzosen«, sagte er dann. »Das gibt es ja öfter.« Er dachte an das ausgedünnte Geschwader, das ihn in der Karibik erwartete. Ihm fehlten Fregatten, und die Franzosen wußten das.
Die Karibik war nicht die Küste der Bretagne oder die weite Nordsee. In Westindien gab es unzählige Inseln, die beobachtet und abgesucht werden mußten nach feindlichen Geschwadern, die sich leicht verbergen konnten. Schiffe vieler Nationen trieben sich dort herum: Holländer, Spanier, Amerikaner – wahrscheinlich alle bereit, ihre Beobachtungen den Franzosen in Martinique und Guadeloupe zu melden. Die Amerikaner hatten ihren eigenen Kampf um Unabhängigkeit von England noch keineswegs vergessen. Sie mußte man mit Samthandschuhen anfassen. Als mögliche Blockadebrecher angehalten und durchsucht zu werden, gefiel ihnen ganz und gar nicht. Die junge, ehrgeizige Nation hatte viele ernste Beschwerden in London vorgebracht.
Bolitho lächelte, als er sich an Lord Godschales Warnung erinnerte: »Wir brauchen Takt ebenso wie Initiative – und jemanden, den die Leute kennen.«
Owen tippte sich grüßend an die Stirn und verschwand auf seine Station.
»Ein wertvoller Mann«, sagte Keen. »Ich werde ihn bald zum Unteroffizier machen.«
Der Wind nahm zu, als die Dämmerung fiel, aber die See blieb ruhig, und die Männer bekamen endlich wieder ein warmes Essen und eine Extraportion Rum, die dem langen Arbeitstag ein bißchen Glanz verlieh.
Vor der Messe, die sich über die ganze Breite des Schiffes erstreckte und unter den Räumen des Admirals lag, saß entspannt der Erste Offizier Sedgemore auf einer Seekiste. Er hielt ein Glas Madeira in der Hand und beendete gerade seine Strafpredigt für Midshipman Houston. Der stand steif wie ein Rohrstock vor ihm und schwankte nur mit dem Rollen und Stampfen des gewaltigen Rumpfes, der so viele Menschen, Waffen und Vorräte beherbergte. Durch die offenstehende Tür der Messe sah Sedgemore die Offiziere, sie tranken oder schrieben, einige spielten Karten – und alle warteten auf das letzte warme Essen des Tages. Einige, die sonst für ihre Strenge und ihren Ordnungssinn bekannt waren, hockten lässig auf ihren Stühlen und ließen sich von einem Steward Wein einschenken. Der Schiffsarzt, der sonst nur mit ernster Miene zu sehen war, lachte brüllend über einen Witz, den ihm der Major der Seesoldaten erzählt hatte. Der Zahlmeister, der Segelmeister – sie waren die Männer, zu denen Houston gehören wollte. Auch er war auf seine Zukunft sehr bedacht. Aber im Augenblick fand er dafür bei Sedgemore kein Verständnis. »Ich lasse nicht zu«, sagte der Erste, »daß Sie Ihre Stellung mißbrauchen, nur weil ein Untergebener es nicht wagt, Ihnen zu antworten. Haben Sie verstanden?«
Houston biß sich auf die Lippen. Er wollte zwar die Aufmerksamkeit des Kommandanten auf sich ziehen, aber nicht indem sich ein Gewitter um seinen Kopf zusammenbraute.
»Und versuchen Sie ja nicht, sich an irgendwem schadlos zu halten, Mr. Houston. Sonst werden Sie glauben, daß der gehörnte Herr der Hölle über Ihre schmalen Schultern herfällt! Auf unserer letzten Reise von Kopenhagen hatten wir einen Midshipman wie Sie an Bord, einen kleinen Tyrannen. Der sah die Leute gern leiden, als ob sie nicht schon genug Unbill erlitten hätten. Sie fürchteten ihn trotz seines niedrigen Ranges, denn er war Sir Richards Neffe.« Der Erste schaute Houston drohend in die Augen. »Sir Richard jagte ihn von Bord, und Kapitän Keen bot ihm ein Kriegsgericht an, falls er nicht schleunigst um Entlassung bat. Was glauben Sie, mein Freund, welche Chancen
Sie
da haben?«
»Es tut mir leid, Sir.«
Sedgemore klopfte ihm auf die Schulter, wie er es Bolitho abgeschaut hatte. »Noch nicht genug, Mr. Houston, aber es wird Ihnen richtig leid tun, wenn es je wieder geschehen sollte. Und nun ab an Deck und Schluß für heute!«
Auf dem Achterdeck meldete sich der immer noch grollende Houston beim Offizier der Wache zur Erfüllung besonderer Pflichten, die ihm Sedgemore aufgetragen hatte. Der Wachhabende war Thomas Joyce, Dritter Offizier, der schon mit elf Jahren einen Nahkampf überlebt hatte, als Midshipman auf seinem
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