Das letzte Riff
ersten Schiff.
Es war bitterkalt. Gischt und Regen troffen von der brettharten Leinwand wie im tiefsten Winter.
Joyce befahl knapp: »In den Mast mit Ihnen Mr. Houston!
Und halten Sie gut Ausguck, wenn ich bitten darf.«
Houston sah einen Rudergänger im Schein der Kompaßlaterne grinsen. »Aber in der Dunkelheit ist doch nichts zu sehen, Sir …«
»Um so leichter haben Sie es, oder? Ab nach oben, sonst wird der Bootsmann Ihnen Beine machen!«
Leutnant Joyce war kein besonders harter Charakter. Seufzend schaute er auf den schwankenden Kompaß und vergaß bald den glücklosen jungen Mann hoch über der windigen See.
Ein Deck tiefer und weiter achtern saß Allday bei Ozzard in der Pantry und schaute ihm zu, wie er Käse aufschnitt.
Neugierig fragte Ozzard: »Warum machst du so was Verrücktes, John? Mir scheint, du hast einen Knacks weg.«
Allday lächelte. Er hatte Ozzard erzählt, daß er sein Gold Unis Polin im
Stag’s Head
zur Aufbewahrung dagelassen hatte. Für alle Fälle.
Ozzard fuhr fort, und sein Messer glitzerte wie seine ärgerlichen Augen: »Sie haut bestimmt damit ab. Ich kenne dich lange genug, John: ein nettes Gesicht, ein hübsches Bein – und aus ist’s mit John Alldays Verstand. Du hättest das Gold in Sir Richards Tresor aufbewahren sollen.«
Sorgfältig stopfte Allday seine Pfeife. »Was ist los mit dir, Tom? Haßt du Frauen?«
Ozzard drehte sich wütend zu ihm um. »Sag das bloß nicht noch mal!«
Dann merkten sie plötzlich, daß ein junger Matrose sie durch die offene Tür anstarrte, der die Kajüte gesäubert hatte. Sein Blick wanderte unruhig von einem zum anderen.
Allday brüllte ihn an: »Was willst du hier?«
»Der Vize-Admiral möchte Sie sprechen!« Der Junge verschwand.
Ozzard legte das Messer auf den Tisch, seine Hand zitterte. Zögernd sagte er zu Allday: »Tut mir leid, John. Es ist nicht deine Schuld.« Aber dabei sah er ihn nicht an.
Allday antwortete leise: »Wenn du willst, kannst du’s mir mal erzählen. Irgendwann. Es bleibt unter uns.«
Damit schloß er die Tür hinter sich und ging durch den niedrigen Gang auf den Seesoldaten zu, der die große Achterkajüte bewachte. Was war es, das Ozzard innerlich zerriß? Wie lange bedrückte es ihn schon? Allday konnte sich nicht erinnern.
In seiner Pantry ließ Ozzard den Kopf auf die Arme sinken.
Auf der
Golden Plover
, kurz vor dem Untergang, hatte er am Niedergang gezögert und Lady Catherine unten beobachtet, wie sie das blutige Kleid abgelegt und nackt vor den Fenstern gestanden hatte. Kein Teil ihres schönen Körpers war ihm verborgen geblieben. Dennoch hatte er sie erst wieder erkannt, als sie in Kniehose und Hemd erschien. Die Nackte unten, die er beobachtet hatte, war seine junge Frau gewesen. So mußte sie sich ihrem Liebhaber präsentiert haben.
Verzweifelt rang Ozzard die Hände. Warum hatte ihm kein Freund, kein Nachbar etwas davon gesagt? Er hätte das alles verhindern können, hätte dafür sorgen können, daß sie ihn wieder so liebte wie früher. Aber so … Wie sie ihn an jenem schrecklichen Tag in Wapping angeschaut hatte! Ebenso nackt, aber überrascht, voller Verachtung und schließlich in Todesangst, als sie die Axt in seiner Hand entdeckte.
Gebrochen flüsterte Ozzard: »Aber ich habe dich doch geliebt! Wußtest du das denn nicht?« Niemand antwortete ihm.
Lewis Roxby stieg schwerfällig von seinem Pferd und klopfte ihm auf den Hals, bevor ein Knecht es in den Stall führte. Es war kalt, und Nebel hing wie Rauch auf den Flanken der nahen Hügel; die Pferdetröge drohten schon zu vereisen. Es würde also einen harten Winter geben. Der Pferdeknecht beobachtete Roxby mit dampfendem Atem.
Roxby sagte: »Nichts geht mehr auf dem Gut, John. Ich kriege die Männer nicht mal dazu, die Mauern auszubessern. Die Schindeln sind festgefroren.«
Der Knecht nickte. »Die Köchin hat sicher was, das Sie wieder auf die Beine bringt, Sir.«
Roxby schneuzte sich so laut, daß sich das Echo vielfach im Hof brach. »Ich brauche was Stärkeres, Tom.«
Er dachte an die beiden Diebe, die er vor ein paar Tagen an den Galgen geschickt hatte. Warum lernten die Leute bloß nicht? England war im Krieg, die Häusler besaßen selber sehr wenig. Warum mußten sie da noch ihresgleichen bestehlen? Einer der Diebe war in Tränen ausgebrochen und hatte, als Roxby sich nicht erweichen ließ, ihn so lange mit Flüchen überschüttet, bis ein Dragoner ihn wegschleppte. Die Pächter mußten vor solchem Gesindel geschützt
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