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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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nicht, denn das Telefon klingelte sofort aufs Neue.
    »Entschuldigen Sie, dass ich so spät anrufe, aber ich dachte mir, Sie denken sowieso gerade an mich«, sagte Matthias seelenruhig, nachdem sie sich begrüßt hatten. »Ich wollte Ihnen die Chance geben, ein wenig mit mir zu plaudern.«
    Dóra war fassungslos – entweder hatte Matthias den Verstand verloren oder war betrunken oder machte einen schlechten Witz.
    »Äh, ich habe Sie nicht unbedingt vermisst.« Sie griff nach der Fernbedienung, um den Fernseher leiser zu stellen, damit er nicht hören konnte, welchen Blödsinn sie sich anschaute. »Ich hab gelesen.«
    »Was lesen Sie denn gerade?«
    » Krieg und Frieden, Dostojewski«, log Dóra.
    »Aha«, sagte Matthias. »Ist das vergleichbar mit Krieg und Frieden von Tolstoi?«
    Dóra verfluchte sich selbst, nicht irgendein Werk von Laxness oder einem anderen isländischen Autor, den er nicht kannte, genannt zu haben. Lügen konnte sie noch nie gut. »Äh, Tolstoi! Meinte ich. Haben Sie ein bestimmtes Anliegen? Sie rufen mich wohl kaum an, um mit mir über Literatur zu diskutieren?«
    »Nein, glücklicherweise nicht, denn dann hätte ich offenbar die falsche Nummer gewählt«, antwortete Matthias prompt. Da Dóra nicht darauf einging, fügte er hinzu: »Nein, entschuldigen Sie, ich rufe an, weil der Anwalt des Mannes, der in Polizeigewahrsam ist, mich eben kontaktiert hat.«
    »Finnur Bogason?«, fragte Dóra.
    »Ja, Sie sprechen den Namen bedeutend besser aus als ich«, bemerkte Matthias. »Er hat mir mitgeteilt, dass wir den Jungen morgen treffen können, wenn wir wollen.«
    »Bekommen wir eine Erlaubnis?«, fragte Dóra verwundert. Untersuchungshäftlinge durften normalerweise nicht von jedem besucht werden.
    »Dieser Finnur«, Matthias sprach den Namen mit extrem deutschem Akzent aus, »er konnte die Polizei davon überzeugen, dass wir bei der Verteidigung des Jungen mit ihm zusammenarbeiten. Was wir ja indirekt auch tun.«
    »Was hat ihn dazu veranlasst?«
    »Sagen wir mal so, ich habe ihm einen kleinen Anreiz gegeben.«
    Dóra fragte nicht weiter nach, denn sie hatte kein Interesse daran, sich etwas zu Schulden kommen zu lassen. Allerdings glaubte sie nicht, dass Matthias dem Anwalt gedroht hatte. Wahrscheinlich hatte er ihm Geld angeboten, damit er das Gespräch arrangierte – was man bestenfalls als unsittlich bezeichnen konnte. Sie fühlte sich besser bei der Vorstellung, den Verteidiger zu unterstützen. Zum Teufel mit der Moral. Sie musste diesen Hugi treffen. Vielleicht war er letztendlich doch schuldig. Es war immer am besten, mit den Leuten persönlich zu sprechen, seinem Gegenüber in die Augen zu schauen und seine Bewegungen und seine Körpersprache zu beobachten. »Dann sollten wir uns beeilen. Natürlich müssen wir ihn treffen.«
    »Ich bin bereit. Ich muss nur Finnur Bescheid geben.«
    »Warum hat er Sie so spät angerufen?«, fragte Dóra. »Die Erlaubnis wurde doch bestimmt nicht erst heute Abend erteilt.«
    »Nein, nein. Er hat mir hier im Hotel eine Nachricht hinterlassen und ich bin gerade erst zurückgekommen. Ich möchte meine Telefonnummer nicht jedem geben.«
    Dóra ärgerte sich darüber, dass sie gern gewusst hätte, wohin Matthias gegangen war, nachdem sie sich getrennt hatten – wahrscheinlich war er einfach zum Essen in der Stadt gewesen.
    Sie vereinbarten, dass Matthias Dóra um neun Uhr im Büro abholen würde, um dann gemeinsam Richtung Osten zum Gefängnis Litla-Hraun zu fahren. Dóra blickte aus dem Fenster auf den Schnee, der in dichten Flocken hinabfiel, und hoffte inständig, dass Matthias bei winterlichen Verhältnissen Auto fahren konnte. Sonst hätten sie ein Problem.

8. DEZEMBER 2005

13. KAPITEL
    Dóra saß am Computer in der Kanzlei, als Matthias sie um neun Uhr abholte. Sie war fast fertig mit der Beantwortung der E-Mails vom gestrigen Tag und leitete die meisten Anfragen an þór weiter. Bragi hatte sie am Morgen breit lächelnd begrüßt. Er liebäugelte immer noch mit dem Gedanken, dieser deutsche Fall könne ihnen das Tor zum Ausland öffnen – eine Quelle nicht enden wollender Aufträge für die Kanzlei. Dóra bremste ihn nicht, denn sie war froh, sich auf den Mordfall konzentrieren zu können, ohne sich gleichzeitig zwischen anderen, kleineren Aufgaben aufreiben zu müssen.
    Sie hatte Haralds unbekanntem Freund Mal eine E-Mail geschrieben, in der sie kurz und knapp von Haralds Tod berichtete und erklärte, dass Matthias und sie sich im Auftrag der Familie

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