Das Letzte Ritual
Guntlieb der Sache angenommen hätten. Am Ende der Mail äußerte sie den höflichen Wunsch, Mal möge sich mit ihr in Verbindung setzen, da er möglicherweise über wichtige Informationen verfüge. Als Bella anrief, um Matthias’ Ankunft anzukündigen, bat Dóra das Mädchen, Matthias auszurichten, er solle im Empfang Platz nehmen und fünf Minuten warten.
Zufrieden mit ihrem morgendlichen Arbeitspensum, schaltete sie den Computer aus und holte ein kleines Aufnahmegerät, das sie beim Verhör mit Hugi benutzen wollte, aus einer Schreibtischschublade. Während sie kontrollierte, ob der Akku geladen war, musste sie an ihren Sohn denken, der am Morgen erschreckend frustriert gewirkt hatte. Welche Sorgen er auch hatte, sie schienen sich entgegen Dóras Hoffnung in der Nacht nicht verflüchtigt zu haben. Der Junge hatte abwesend und appetitlos am Tisch gesessen und Dóra hatte ihm nur wenige Worte entlocken können. Sóley dagegen hatte wie üblich ununterbrochen geplappert, weshalb es für Dóra unmöglich gewesen war, ihrem Sohn näher zu kommen. Sie beschloss, sich heute Abend, wenn Sóley ins Bett gegangen war, in aller Ruhe mit ihm zu beschäftigen. Dóra vertrieb diese Gedanken, steckte das Aufnahmegerät in ihre Tasche und ging eilig nach vorn.
Als sie den Empfang betrat, traf sie fast der Schlag. Matthias saß auf Bellas Schreibtischkante und plauderte mit der Sekretärin. Die strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Die beiden bemerkten noch nicht einmal, dass Dóra den Raum betreten hatte, und sie musste sich räuspern, um auf sich aufmerksam zu machen.
Matthias schaute auf. »Ach, Sie sind’s. Ich hatte gehofft, es würde noch ein bisschen länger dauern.« Er grinste und blinzelte Dóra zu.
Dóra fiel es schwer, ihren Blick von Bellas Gesicht abzuwenden, das allein durch das Lächeln völlig verändert war. Sie sah richtig nett aus, wenn sie gute Laune hatte. »Also dann, machen wir uns auf den Weg?«, sagte Dóra und holte ihren Mantel. »Schön, dich so gut gelaunt zu sehen, Bella«, fügte sie hinzu und schenkte der Sekretärin ihr lieblichstes Lächeln.
Bellas Lächeln verschwand daraufhin wie Tau in der Sonne. Die Auswirkungen des Charmes, mit dem Matthias die Sekretärin umgarnt hatte, ließen offenbar nach. »Wann kommst du zurück?«, fragte sie mürrisch.
Dóra versuchte, ihre Enttäuschung darüber, dass sie von dem Vergnügen ausgeschlossen gewesen war, zu verbergen. »Ich glaube nicht, dass ich heute noch mal wiederkomme, aber ich rufe dich an, wenn sich etwas ändert.«
»Ja, ja, wie üblich«, entgegnete Bella. In ihren Worten schwang ein vorwurfsvoller Unterton mit, so als sei es normal, dass Dóra ihr nie etwas mitteilte – was völlig abwegig war.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe.« Dóra konnte nicht so tun, als sei nichts gewesen, obwohl sie genau wusste, dass das vernünftiger wäre. »Kommen Sie, Matthias.«
»Ja, gnädige Frau«, entgegnete Matthias und warf Bella ein Lächeln zu. Zu Dóras Entsetzten erwiderte sie es.
Als sie im Auto saßen, schnallte sich Dóra an und drehte sich zu Matthias. »Können Sie bei Glatteis fahren?«
»Das wird sich zeigen«, entgegnete Matthias prompt und steuerte den Wagen aus der Parklücke. Als er Dóras Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: »Keine Sorge, ich bin ein guter Autofahrer.«
»Sie dürfen auf keinen Fall bremsen, wenn der Wagen rutscht«, erklärte Dóra, die von Matthias’ Glatteiskenntnissen alles andere als überzeugt war.
»Möchten Sie lieber fahren?«
»Nein, vielen Dank«, antwortete Dóra. »Ich beherrsche diese Bremsregeln nicht; wenn das Auto anfängt zu schlingern, trete ich instinktiv auf die Bremse – obwohl ich es eigentlich besser weiß. Meine Fahrkünste sind ziemlich bescheiden.«
Sie fuhren auf direktem Weg aus der Stadt und oben auf der Heide konnte Dóra ihre Neugier nicht länger zügeln. »Worüber haben Sie sich denn unterhalten?«
»Wer?«, fragte Matthias verwirrt.
»Sie und Bella, meine Sekretärin. Normalerweise ist sie verstockt wie ein Esel.«
»Ach so. Wir haben uns über Pferde unterhalten. Ich habe Lust, mal das Reiten auszuprobieren, während ich hier bin. Man hört so viel Gutes über Islandpferde. Sie hat mir Tipps gegeben.«
»Was weiß Bella denn über Pferde?«, fragte Dóra verwundert.
»Sie ist Reiterin, wussten Sie das nicht?«
»Nein, wusste ich nicht«, antwortete Dóra. Sie bemitleidete die armen Pferde, die Bellas Last zu tragen hatten. »Welche Pferde reitet sie denn?
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