Das Letzte Ritual
Dóra schnappte nach Luft. »Was will sie von mir? Mir ihr merkwürdiges Verhalten ihrem Kind gegenüber erklären?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Matthias. »Sie sagte nur, sie will mit Ihnen sprechen, aber zu einem späteren Zeitpunkt. Sie möchte sich erst wieder fangen.«
Dóra sagte nichts dazu. »Ich verstehe den Zweck dieses Schreibens nicht«, bemerkte sie, um das Thema zu wechseln.
»Ich auch nicht«, sagte Matthias augenblicklich. »Es ist vollkommen verrückt, so zu tun, als habe Harald den Brief selbst geschickt. Wahrscheinlich ist der Mörder wirklich geisteskrank.«
Dóra starrte auf den Zettel. »Möglicherweise wollte der Verfasser damit sagen, dass Harald seine Mutter nach seinem Tod heimsuchen wird.«
»Wozu?«, fragte Matthias berechtigterweise. »Wer hat etwas davon, sie auf diese Art und Weise zu quälen?«
»Harald natürlich, aber er war ja schon tot«, sagte Dóra. »Oder Haralds Schwester – vielleicht wurde auch sie von der Mutter schlecht behandelt?«
»Nein«, entgegnete Matthias. »Sie wird nicht schlecht behandelt – das kann ich beschwören. Sie ist der absolute Liebling ihrer Eltern.«
»Aber wer kann es sonst sein?«, fragte Dóra ratlos.
»Jedenfalls nicht Hugi. Es sei denn, er hatte einen Komplizen.«
»Wie dumm, dass wir heute Morgen im Gefängnis noch nichts von dem Blut auf Hugis Kleidung wussten.« Dóra schaute auf die Uhr. »Vielleicht sollte ich ihn anrufen.« Sie rief die Auskunft an und erhielt die Nummer von Litla-Hraun. Der wachhabende Beamte erteilte ihr die Erlaubnis, ein kurzes Telefonat mit Hugi zu führen. Sie wartete ungeduldig ein paar Minuten und lauschte der elektronischen Version von Für Elise. Dann drang Hugis kurzatmige Stimme aus dem Hörer.
»Hallo?«
»Hallo, grüß dich, Hugi. Hier ist Dóra Guðmundsdóttir. Ich will dich nicht lange stören, aber leider konnten wir dich heute Morgen nicht nach dem Blut auf deiner Kleidung fragen. Wie erklärst du dir das?«
»So ein Mist«, jammerte Hugi. »Die Polizei hat mich auch danach gefragt. Ich weiß nicht, welches blutverschmierte T-Shirt die meinen, aber ich hab ihnen das mit dem Blut auf meinen Klamotten an dem Abend erklärt.«
»Wie ist das denn passiert?«, fragte Dóra.
»Harald und ich sind bei der Party aufs Klo gegangen, um was zu schnupfen. Er hat krasses Nasenbluten bekommen und mich mit Blut bespritzt. Das war so’n winziges Klo.«
»Konntest du das beweisen?«, fragte Dóra. »Konnten sich andere Gäste auf der Party daran erinnern – du musst doch blutverschmiert aus dem Bad gekommen sein.«
»Ich war nicht direkt blutverschmiert. Außerdem waren alle total breit und durchgeknallt. Zumindest hat sich niemand darum geschert. Hat bestimmt keiner mitgekriegt.«
Verdammt, dachte Dóra. »Und das mit dem blutverschmutzten T-Shirt in deinem Schrank? Weißt du, wie das passiert ist?«
»Keine Ahnung.« Es trat eine kurze Pause ein, dann fügte er hinzu: »Ich glaub, die Bullen haben es da reingetan. Ich hab Harald nicht ermordet und ich hab kein Blut mit einem T-Shirt aufgewischt. Ich weiß noch nicht mal, ob das überhaupt mein T-Shirt ist. Ich hab das Ding ja nie gesehen.«
»Das sind schwerwiegende Beschuldigungen, Hugi, und unter uns, ich glaube nicht, dass die Polizei so was tut. Wenn du die Wahrheit sagst, muss es eine andere Erklärung dafür geben.«
Daraufhin verabschiedeten sie sich und Dóra berichtete Matthias von dem Telefongespräch.
»Tja, zumindest hat er für die Hälfte eine Erklärung«, sagte er. »Wir müssen die anderen Partygäste fragen, ob sie sich an dieses Nasenbluten erinnern können.«
»Ja«, sagte Dóra. Sie hatte kaum Hoffnung, dass das etwas bringen würde. »Aber selbst wenn sie sich daran erinnern, haben wir keine Erklärung für das T-Shirt im Schrank.«
»Bing« – tönte es aus dem Computer und sie schauten beide im selben Augenblick auf den Bildschirm. »You have new mail«, stand in einem Fenster in der rechten unteren Bildschirmecke. Dóra griff nach der Maus und klickte den kleinen Briefumschlag an.
Eine Mail poppte auf – sie war von Mal.
19. KAPITEL
Hi toter Harald!
Was ist denn bei dir los? Ich hab eine Mail von einem angeblichen isländischen Polizisten gekriegt und von irgendeiner Rechtsanwaltsschlampe Diese Idioten behaupten, du wärst tot – sehr unwahrscheinlich! Melde dich trotzdem kurz – das ist ein bisschen unangenehm.
Gruß,
Mal
Dóra ärgerte sich darüber, obwohl sie in ihrer bisherigen
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