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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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ihrer Meinung nach war Halldórs Alibi wesentlich zweifelhafter geworden. Sie dankte Bjössi und gab ihm ihre Visitenkarte, falls ihm noch etwas einfiel, was ihr jedoch eher unwahrscheinlich vorkam. Sie drehte sich zu Matthias und ihrem Espresso, der schon ziemlich kalt geworden war. Während sie an ihrem Espresso nippte, berichtete sie Matthias ausführlich von dem Gespräch mit dem Kellner. Sie tranken ihre Tassen aus und Dóra sah, dass es Zeit war, nach Hause zu fahren. Sie bezahlten und beeilten sich nach draußen.
    Es war kurz vor fünf und noch nicht viel Verkehr. Nur wenige Leute waren in der Kälte und der feuchten Luft zu Fuß unterwegs. Vereinzelte Passanten eilten vorüber und ließen sich keine Zeit, die Schaufenster anzuschauen. Dóra beschloss, nicht mehr ins Büro zu gehen, sondern sich von Matthias direkt zum Parkhaus bringen zu lassen und von dort heimzufahren. Sie wählte Bellas Nummer, um ihr Bescheid zu geben, dass sie erst am nächsten Morgen zu erwarten sei, und in Erfahrung zu bringen, ob während ihrer Abwesenheit etwas Wichtiges angefallen sei.
    »Hallo«, tönte es wie immer aus dem Hörer – kein Wort darüber, um welche Firma es sich handelte und wer am Telefon war.
    »Bella«, sagte Dóra, wobei sie versuchte, freundlich zu klingen. »Hier ist Dóra. Ich komme heute nicht mehr ins Büro. Morgen früh bin ich gegen acht Uhr da.«
    »Hm«, war die unerklärliche Antwort.
    »Hat mir jemand eine Nachricht hinterlassen?«
    »Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Bella.
    »Woher? Tja, ich bin halt ein optimistischer Mensch und kam auf die absurde Idee, du als Sekretärin und Telefonistin hättest eventuell versehentlich eine Nachricht entgegengenommen.«
    Am anderen Ende der Leitung trat Stille ein. Dóra glaubte, Bella durch den Hörer leise zählen zu hören. »Es ist fünf – ich darf nicht länger mit dir sprechen. Meine Arbeitszeit ist beendet.« Bella legte auf.
    Dóra glotzte auf ihr Handy und sagte mehr zu sich selbst als zu Matthias: »Ob Bella wohl identisch mit diesem Mal ist?«
    »Was?« Matthias war beim Parkhaus angekommen und bog in die Einfahrt.
    »Ach, nichts«, sagte Dóra und löste den Sicherheitsgurt. »Was machen Sie eigentlich abends?«
    »Alles Mögliche«, antwortete Matthias. »Essen gehen, ab und zu schlendere ich in eine Kneipe in der Innenstadt, ein paar Mal habe ich an touristischen Aktivitäten teilgenommen – Museen und so was.«
    Dóra bemitleidete ihn; er musste ziemlich einsam sein. »Morgen ist Freitag und die Kinder sind bei ihrem Vater. Ich lade Sie am Wochenende zum Essen ein, was halten Sie davon?«
    Matthias grinste. »Viel, wenn Sie versprechen, keinen Fisch zu machen. Wenn ich noch einmal Fisch essen muss, wachsen mir Flossen.«
    »Nein, ich dachte an etwas Schlichteres – Pizzaservice zum Beispiel«, entgegnete Dóra, bevor sie aus dem Wagen stieg. Sie hoffte, Matthias würde losfahren, bevor sie bei ihrem Werkstattauto ankam. Wenn er schon ihren Anorak lächerlich fand, bekäme er beim Anblick ihres Gefährts bestimmt einen Anfall. Ihr Wunsch wurde nicht erhört – Matthias wartete, bis Dóra ihren Wagen erreicht hatte, und als sie die Fahrertür aufschloss, rief er ihr etwas zu. Sie drehte sich um und sah, wie er sich aus dem heruntergekurbelten Fenster beugte.
    »Sie machen ja wohl Witze«, schrie er laut. »Ist das Ihr Wagen?«
    Dóra ließ sich von seinem Gelächter nicht beeinflussen und schrie zurück: »Sollen wir tauschen?«
    Matthias schüttelte den Kopf und kurbelte die Scheibe hoch. Soweit sie sehen konnte, fuhr er, immer noch lachend, von dannen.
    Am Abend zuvor hatte Dóra organisiert, dass ihre Tochter nach der Schule mit zu ihrer Freundin gehen sollte. Jetzt fuhr Dóra dort vorbei, um Sóley abzuholen. Sie bedankte sich bei der Mutter der Freundin, einer jungen, hoch gewachsenen Frau, für den Gefallen und kündigte an, demnächst wohl öfter darauf zurückgreifen zu müssen, sie könne sich hoffentlich irgendwann dafür revanchieren. Irgendwann, wenn die Sonne im Westen aufgeht.
    Zu Hause im Flur sah es aus wie Kraut und Rüben – Gylfis Freunde waren zu Besuch gewesen und gingen gerade. Zahllose Jacken, Turnschuhe und verknautschte Rucksäcke, die als Schultaschen dienten, waren im Flur verteilt. Ihre Besitzer, drei hagere Jungen, die Dóra gut kannte, und ein Mädchen, das ihr weniger vertraut war, sammelten hektisch ihre Klamotten zusammen und suchten zueinanderpassende Schuhpaare.
    »Hi«, sagte Dóra kumpelhaft,

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