Das letzte Sakrament
ermordete!
Wenn er dieses Filmchen an den Papst schicken würde, hätte er für immer ausgesorgt. Wie viel wäre das Teil dem Heiligen Vater wohl wert? Oder anders gefragt, wie viel wäre ihm die weitere Existenz seiner Kirche wert? Eine Milliarde Dollar? Oder noch mehr? Simovic grinste. Alles hat seinen Preis …
Er stellte sich schon vor, wie sein Leben sich verändern würde, als ihm dämmerte, dass all das nur ein paar Meter von ihm entfernt geschah. Es war kein Fernsehen, auch wenn es so aussah. Es war echt, kein Reality-TV mit geschminkter Wirklichkeit. All das, was er auf seinem Laptop sah, passierte tatsächlich, jetzt, genau in diesem Moment. Zwei Menschen waren ermordet worden, nur eine Etage über ihm, direkt vor seiner Kamera. Und bald würde es einen dritten Toten geben, kein Zweifel. Was sollte er tun?
Könnte er es verhindern? Wollte er es überhaupt verhindern?
Simovic strich sich über sein gegeltes Haar. Bis er in der Rezeption angerufen hatte und die Sicherheitskräfte vor Ort waren, wäre es schon zu spät.
Und wenn er selbst eingreifen würde?
Nein, sich in Gefahr zu begeben war keine Option. Er hatte nichts zu tun mit diesem Kleinkrieg! Sobald er eingreifen würde, wäre seine Deckung dahin. Man würde ihm Fragen stellen, und er müsste seine Aufnahmen zeigen. Man würde den Film konfiszieren. Womöglich würde sich der Vatikan einmischen und eine Ausstrahlung verhindern. Und das, ohne zu zahlen!
Nein, er würde sich die Story seines Lebens nicht zerstören lassen.
Er war kein Polizist. Der da oben war einer! Was konnte er dafür, wenn der Kerl sich einmischte? Er war Reporter. Und er würde weiter draufhalten. Das war seine verdammte Pflicht. Das und nichts anderes!
87
Es regnete immer noch, als habe jemand alle Schleusen geöffnet. Alex Pandera stand auf dem Balkon der Kabine und blickte in den Lauf des Kreuzes. »Ich verstehe, dass Sie die beiden getötet haben«, sagte er unvermittelt.
Der Blick des Priesters löste sich aus seiner Versteinerung. »Das verstehen Sie?«
»Sie wollten die katholische Kirche schützen. Das kann ich nachvollziehen. Ich sage nicht, dass es richtig war, aber ich verstehe es.«
»Wer weiß schon, was richtig ist und was falsch?«, erwiderte Kunen.
»Ich dachte immer, Gott weiß es.«
»Gottes Wege sind unergründlich.« Der Vikar hob den Lauf seiner Waffe ein Stück höher. »Er hat mich hierhergeführt, und doch lässt er mich zweifeln.«
»Er lässt Sie zweifeln, weil ich kein Feind der Kirche bin«, sagte Pandera. »Ich bin nur ein Kommissar, der versucht, den Mord am Bruder des Bischofs aufzuklären.« Er ließ seine erhobenen Hände ein wenig sinken. »Wollen Sie mich wirklich töten, nur um sich selbst zu retten? Um der Strafe zu entgehen, die jeder Mörder zu tragen hat?«
Der Priester legte die Stirn in Falten. »Es … es geht nicht … um Sie und mich. Wenn die Öffentlichkeit erfährt, was hier geschehen ist, war alles umsonst!«
Kunens Worte trafen den Kommissar wie eine Kugel. Gemessen an seiner eigenen Logik, hatte der Priester recht. Er, Pandera, würde nicht verschweigen, was er gesehen hatte. Für kein Geld und für kein Amt der Welt.
»Sie würden einen Unschuldigen töten, um die Kirche zu retten?«, fragte Pandera, obwohl er die Antwort längst wusste.
»Das habe ich schon getan«, entgegnete der Priester. »Doch das Kind wurde nur benutzt. Von Feinden, die … die Kirche vernichten wollten …« Er bekreuzigte sich. »Ich musste es tun.«
»Sie hätten das Kind auch am Leben lassen und es selbst erziehen können«, widersprach Pandera. »Sie hätten dessen Macht für den christlichen Glauben nutzen können. Sie haben den Jungen getötet, um den Papst zu retten! Der Glaube der Menschen bedeutet Ihnen nichts.«
Kunen strich sich über das Kinn. »Der Papst ist die Kirche, und die Kirche ist der Ort des Glaubens.« Es klang wie eine Floskel. Kunen zitterte leicht.
Pandera nahm seine Hände noch ein Stück herunter, sie waren jetzt fast auf der Höhe seines Brustkorbes. Nur ein Handgriff, und er konnte seine Waffe ziehen.
Er machte einen Schritt auf Kunen zu.
Plötzlich verhärtete sich das Gesicht des Priesters wieder, und er blickte Pandera mit der alten Entschlossenheit entgegen. »Zweifel sind Schwäche!«, rief er und nahm das Kreuz wieder fester in die Hand.
Sofort hielt Pandera die Hände wieder höher. Er hatte die Gelegenheit verpasst.
»Was geschehen ist, ist nun mal geschehen!«, rief Kunen in den Wind hinein.
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