Das letzte Sakrament
geirrt«, flüsterte er.
»Warum haben Sie das getan?«, fragte Pandera.
»Einer muss unseren Glauben retten«, antwortete Kunen. »Mir blieb keine andere Wahl.«
Pandera hatte schon mehrere Mörder gesehen. Aber er hatte noch nie einem direkt nach der Tat in die Augen geblickt.
Es gab immer ein erstes Mal.
Und es gab immer auch ein letztes Mal.
Der Priester wirkte, als habe er eine Schutzhülle um sich errichtet, als sei er ein von unsichtbaren Mächten Getriebener, zu allem entschlossen.
»Sie können den Lauf der Zeit nicht aufhalten.« Pandera sah Kunen mit festem Blick an.
»Werfen Sie den Klon über Bord!«, befahl der Priester.
Pandera wollte widersprechen, doch als er in Kunens kalte Augen sah, verstand er, dass er besser tat, was der Vikar von ihm verlangte.
Er ging zu dem Kinderbettchen und beugte sich hinunter. Der Kopf des kleinen Jesus schaute immer noch unter der Decke hervor, doch die Augen blickten ins Nirgendwo.
Irgendetwas stimmte nicht.
»Los!«, rief Kunen. »Ins Meer mit ihm!«
Pandera zog dem Kind die Decke über den Kopf und nahm das Bettchen an den Trageschlaufen. Sein Blick fiel auf Wismut, der regungslos am Boden lag. In dessen Augen blitzte ein Funkeln auf. Lebte der Mann etwa noch?
»Was ist?«, rief Kunen und hob seine Waffe. Pandera nickte ihm zu, und trug das Bettchen auf den Balkon. Der Regen prasselte auf ihn herunter, als würde der Himmel weinen.
Pandera hob das Reisebett über das Geländer. Der Wind fegte die Bettdecke davon wie ein sterbendes Blatt. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Pandera ließ los. Das Bettchen fiel hinab in die Tiefe.
»Niemand wird ihn finden! Es wird keine Klone mehr geben!«, rief Kunen und stürzte zur Brüstung. Er schob Pandera zur Seite und blickte hinunter, die Waffe noch immer auf den Kommissar gerichtet.
Das Plastikbettchen drehte sich im Wind und knallte an die Bordwand. Der kleine Körper fiel heraus und schlug auf das endlos scheinende Meer auf. Sofort schlossen sich die Wellen über ihm und zogen ihn in das schwarze Nichts. Das Bettchen plumpste hinterher und tanzte auf dem Wasser wie ein leeres Schlauchboot. Wenige Augenblicke später wurde es von einer Welle erfasst und versank in den Fluten.
Pandera spürte, dass eine Träne über sein nasses Gesicht lief. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Kunen sich bekreuzigte. Immer noch hatte er die Waffe auf Panderas Oberkörper gerichtet.
Dann löste Kunen sich vom Geländer und ging ein paar Schritte rückwärts, bis er in der Balkontür stand. Pandera ahnte, was jetzt kommen würde. Er wandte den Blick vom Wasser ab und drehte sich um. Er wollte dem Mann ins Gesicht sehen.
Pandera hatte das Gefühl, als geschähe alles in Zeitlupe. Jeden Augenblick rechnete er mit dem tödlichen Schuss. Jede Sekunde erwartete er, dass die Kugeln ihn zerschmettern und ihn in das schwarze Meer schleudern würden. Reglos stand er da und wartete auf den Schuss. Doch er fiel nicht.
Noch nicht.
86
Roger Simovic war so gefesselt von den Bildern, dass er noch gar nicht verstand, was gerade geschehen war. Dass der Heiland, den er maßgeblich erschaffen hatte, in den Fluten untergegangen war. Dass er, Roger Simovic, von jetzt an nicht mehr als Ikone der neuen Christen verehrt werden würde. Dass er wieder ein stinknormaler Journalist sein würde und nicht mehr der große Starreporter.
Dann kam die Einsicht. Die Einsicht, dass alles verloren war. Die Story seines Lebens! Er wollte fluchen, er wollte schreien, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Simovic konnte nichts anderes tun, als dem Geschehen mit offenem Mund zuzuschauen.
Plötzlich wurde ihm klar, dass er gar nichts verloren hatte.
Nein, im Gegenteil, er war frei!
Im Grunde hatte der Jesusklon ihn nie interessiert. Und die neuen Christen schon gar nicht. Sondern einzig und allein die Aussicht auf diese unglaubliche Story.
Was ihn so sehr in den Bann schlug, das würde auch das Publikum faszinieren. Diese Bilder waren mindestens so bedeutend wie die vom Kennedy-Attentat! Ach was, Kennedy war Dreck dagegen! Amerikanische Präsidenten kamen und gingen, spätestens alle acht Jahre. Aber auf einen neuen Jesus warteten die Christen schon fast zweitausend Jahre!
Und der Vatikan – was spielte er für eine Rolle in dieser Geschichte? Die des Teufels! Ja, der Vatikan hatte seine hässliche Fratze gezeigt, so wie er es seit der Inquisition nicht mehr getan hatte: ein mordender Priester mit einem goldenen Maschinengewehrkreuz! Einer, der Jesus
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