Das letzte Sakrament
schnell.«
15
Wie ein Tiger im Käfig ging Simon Kunen in seinem Büro auf und ab. Vor dem Eichenschreibtisch blieb er kurz stehen, warf einen Blick auf den Computermonitor und ging weiter. Ja, die katholische Kirche war eine große Gemeinschaft. Sie hatte über eine Milliarde Mitglieder und über eine Million Priester und Ordensleute. Und doch fühlte er sich allein.
Es fiel ihm immer schwerer, Entscheidungen, die von anderen getroffen worden waren, umzusetzen. Er musste sie aushalten, überzeugend erklären und so tun, als seien es seine eigenen. Sogar wenn er sie für falsch hielt. Doch auch wenn er selbst etwas entscheiden konnte, war er alles andere als frei. Neuerdings neigte der Bischof dazu, seine Vorschläge zu hinterfragen. Bisher hatte der Alte ihm immer vertraut. Der Tod seines Bruders hatte vieles verändert.
Kunen strich sich über die Glatze. War er denn der Einzige im Bistum, der über den Tag hinaus dachte? Der eine Strategie besaß? Die Kirche konnte doch nicht nur aus Männern bestehen, die der Obrigkeit hörig waren! Aber wenn er sich die Novizen anschaute, zweifelte er daran. Was hatte die jungen Männer in die Kirche geführt? Ihr Glaube? Sicher, aber was noch? Der Wunsch, ihren Eltern zu gefallen? Materielle Absicherung? Der Status als Priester? Das konnte doch nicht alles sein!
Gab es denn niemanden, der für Jesus in die Kirche gekommen war, um Ihm zu dienen?
Es klopfte an der Tür, leise und vorsichtig. Kunen wusste sofort, wer es war. Er schaltete den Monitor aus, ging zur Tür, drehte den Schlüssel herum und ließ den Bischof herein.
»Es ist schwer, in diesen Zeiten Ruhe zu finden«, sagte er entschuldigend und setzte sich an den Schreibtisch.
»Ruhe findet man, indem man sein Herz öffnet«, erwiderte der Bischof sanft.
»Wenn man stark ist«, antwortete Kunen. »Ich finde sie in der Selbstbesinnung.«
Der Bischof setzte sich auf den Holzstuhl vor Kunens Schreibtisch. »Der Kommissar …«, begann er und senkte den Kopf. »Wir müssen … ihm sagen, was wir wissen.«
»Wir haben ihm gesagt, was wir wissen«, entgegnete Kunen.
»Das haben wir nicht«, widersprach der Bischof und hob den Kopf wieder. »Wir haben ihm nichts von den Nachforschungen meines Bruders erzählt.«
»Was würden wir damit gewinnen?«
»Die Polizei könnte den Mörder vielleicht finden.«
»Trauen Sie der Polizei mehr zu als unseren eigenen Leuten?« Kunen faltete die Hände. »Sie wissen nicht, wie die Welt dort draußen ist. Ich kenne die Polizisten, die Anwälte, die Richter, die Journalisten. Wenn nur ein Wort von Bruder Rolands Vermutungen nach außen dringt, kommt eine Maschinerie in Gang, die wir nicht mehr stoppen können.«
»Aber …«
»Und was ist, wenn Ihr Bruder sich getäuscht hat?«, fragte Kunen. »Wir wissen doch gar nicht, ob der Junge existiert.«
Der Bischof atmete tief durch. Schließlich bekreuzigte er sich und nickte. Dann stand er auf und verließ schweigend das Büro.
Simon Kunen blickte hinter ihm her. Es würde nicht mehr lange gut gehen. Er musste sich auf das Schlimmste vorbereiten.
16
Es war schon fast Abend, als Tamara Aerni und Alex Pandera wieder in ihr Büro zurückkamen. Die Mühlen in Bern mahlten langsam. Nur mit viel Mühe hatten sie gemeinsam mit den Berner Kollegen beim Staatsanwalt durchsetzen können, dass Leuenberger überwacht und sein Telefon abgehört wurde. Eine Durchsuchung seines Arbeitsplatzes und seiner Wohnung hatte der Staatsanwalt abgelehnt. Ohne konkrete Beweise war er dazu nicht bereit.
»Ich hoffe, wir haben Leuenberger nicht gewarnt mit unserem Besuch«, sagte Pandera.
»Wenn er wirklich mit Genmaterial handelt, wird er kaum als Erstes an drei Jahre alte Proben denken«, erwiderte Tamara. »Vielleicht hat er mit Embryonen gehandelt oder mit menschlichen Stammzellen oder was sonst noch verboten ist«, antwortete sie. »Wenn das rauskommt, dann ist er seinen Job los. Das wird er um jeden Preis verhindern wollen.«
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte Pandera. »Blöd nur, dass alle am Tatort gefundenen DNA-Spuren von SEQUENZA 46-Mitarbeitern stammen«, sagte Pandera.
»Meinst du, es war doch einer von denen? Womöglich Plattner selbst?«
»Wir müssen auf alle Fälle in die Richtung weiterermitteln.«
»Und was ist mit den Jesuiten?«
»Die verheimlichen uns irgendwas, davon bin ich überzeugt.«
»Wieso bist du dir so sicher?«
»Ich weiß auch nicht«, sagte er. »Ist nur ein Bauchgefühl.«
»Wie auch immer«, sagte sie. »Ich
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