Das letzte Sakrament
Armee der konservativen Journalisten, die ewigen Zweifler. Er wusste genau, dass sie jeden Hebel in Bewegung setzen würden, um die Story zu bekämpfen. Das gehörte schließlich zum Spiel. Denn erst der massive Einsatz all dieser Gegner würde das Thema auf jede Titelseite bringen. Je verbissener seine Gegner kämpften, ja, je brutaler sie ihn bekriegten, desto glanzvoller würde sein Triumph ausfallen.
»Noch drei Minuten«, rief Jerome. Es wird Zeit, dass ich mir einen neuen Assistenten suche , dachte Simovic. Jerome ist nicht mehr als ein Kabelhalter mit Zeitansage. Ich brauche jemanden mit Biss, jemanden wie mich.
Doch noch war es zu früh, den Kerl rauszuschmeißen, denn eines konnte Jerome fraglos am besten: mit zuckersüßen Worten die Meute besänftigen und sie ihm vom Hals halten. Jerome umgarnte jeden mit seinem Charme. Das war der Vorteil an einem Mann mit einer anderen sexuellen Orientierung.
Nein, Simovic hatte nichts gegen Schwule, im Gegenteil, sie bereicherten die Gesellschaft. Doch manchmal waren sie einfach nicht hart genug. Vor allem Männern gegenüber. Eigentlich ein Paradox , dachte er und lächelte.
Wie immer kurz vor einem Auftritt sprangen Simovics Gedanken wild hin und her. Es musste wohl so sein, damit er sich, während die Kamera lief, hundertprozentig auf die Sendung konzentrieren konnte. Er hatte sich lange überlegt, wie er seinen großen Auftritt beginnen sollte. Professor Wismut hatte ihm schließlich den entscheidenden Hinweis geliefert. Der Mann war ein Genie.
Sie müssen Ihren Bericht vor dem bedeutendsten Symbol für die Spaltung der christlichen Kirche halten , hatte er gesagt.
Simovic hatte kein Wort verstanden und den Professor fragend angeschaut.
Der Wissenschaftler hatte es ihm erklärt: Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wollte der damalige Papst Julius II. einen neuen Dom bauen, doch er hatte nicht genügend Geld. Kein Wunder, denn er liebte das Luxusleben und führte nebenbei noch ein paar Kriege. Er war nichts anderes als ein weltlicher Herrscher mit Papstkrone. So nannte er mehrere Paläste sein Eigen, einen Hofstaat und drei uneheliche Töchter. Da die Zahl seiner Feinde schneller wuchs als die seiner Freunde, gründete er zu seinem persönlichen Schutz die Schweizergarde. Die Finanzierung des Dombaus kam jedoch nicht recht voran und er starb, noch bevor mit dem Bau des Domes begonnen wurde.
Leo X., sein Nachfolger, stammte aus der Finanzdynastie der Medici. Er war der Meinung, dass es für jedes Problem eine finanzielle Lösung gab. Und so führte er zur Finanzierung des Dombaus den Ablasshandel ein, bei dem jedermann sich mit Geld von seinen Sünden reinwaschen konnte. Dieser Ablasshandel war der entscheidende Grund für die Reformation und damit für die Abspaltung der protestantischen Kirche. Auch wenn der Papst wusste, dass er diese Entwicklung hätte aufhalten können, indem er auf den Dombau verzichtet hätte, gab er nicht nach.
Seine Nachfolger taten es ebenso wenig. Der Dom wurde gebaut, und die christliche Kirche brach auseinander. Es dauerte über hundert Jahre, bis der Dom fertiggestellt war. Er steht heute noch. Es ist der Petersdom, das bekannteste kirchliche Bauwerk der Welt.
Und genau hier stand er, Roger Simovic, und wartete, dass es endlich losging.
24
Pandera parkte den Dienstwagen unweit der Berner Lorrainebrücke, einer fast hundert Jahre alten steinernen Bogenbrücke. Auf der Brücke blickte Pandera hinab und hielt sich instinktiv an der Brüstung fest. Trotzdem wurde ihm schwindelig, und er zwang sich, tief durchzuatmen. Schwindelfrei werde ich in dem Leben wohl nicht mehr.
In einem tiefen Graben, fast vierzig Meter unter der Brücke, bahnte sich die Aare ihren Weg. Ihr glasklares Wasser umrahmte die Berner Altstadt wie eine in der Sonne glitzernde Halskette. Pandera und Tamara gingen zum Kopf der Brücke und durch ein steil abfallendes Uferwäldchen hinunter zur Aare. Direkt am Flusslauf stand der kaum zehn Meter hohe Blutturm mit seinem braunen Ziegeldach. Wie alle historischen Gebäude in Bern war auch er aus grünem Sandstein gebaut, der an einigen Stellen abgebröckelt und unten mit Graffitis besprayt war.
Die Polizei hatte das Gelände weiträumig abgesperrt, so auch den schmalen Uferweg, auf den die beiden Basler Polizisten trafen. Er führte durch einen kleinen steinernen Torbogen am Turm vorbei und schlängelte sich an der Aare entlang. Pandera erinnerte sich daran, dass er hier ein paarmal gejoggt war, als er während der
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