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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pohl Clarke
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nach hätte er gut und gern sein Vater sein können, aber er hatte noch ziemlich volles Haar und einen recht kräftigen Händedruck. Jedoch streckte er Ranjit die linke Hand entgegen, um ihn zu begrüßen und ihn gleich darauf ins Zimmer zu ziehen. »Kommen Sie rein, kommen Sie rein, Mr. … äh … und nehmen Sie Platz. Gefällt Ihnen unser schönes Washington D.C. - die Abkürzung steht für District of Confusion … ha ha!«
    Er wartete Ranjits Antwort nicht ab, sondern bugsierte ihn ohne viel Federlesens zum Konferenztisch. »Möchten Sie einen Drink? Das heißt, wenn der gute alte Jack nicht zu stark für Sie ist?«
    Ranjit unterdrückte ein Schmunzeln. Jemand, der sein wildes sechzehntes Lebensjahr damit verbracht hatte, Arrak zu konsumieren, nahm diese zahmen amerikanischen Getränke gar nicht ernst. »Ja, gern«, antwortete er. »In Ihrer SMS war von einem ›Angebot‹ die Rede.«
    Bledsoe maß ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Es heißt immer, wir Amerikaner seien dauernd in Eile, aber nach meiner Erfahrung kann es euch Ausländern nie schnell genug gehen. Klar, ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, doch ehe ich mit einem Mann ins Geschäft komme, möchte ich ihn gern ein bisschen näher kennenlernen.« Die ganze Zeit über hielt er mit der rechten Hand, die er vorher nicht benutzt hatte, die Whiskeyflasche fest, während er mit der Linken den Verschluss öffnete. Bledsoe merkte, wohin Ranjits Blick sich richtete, und gluckste vergnügt in sich hinein. »Eine Prothese«, erklärte er, und es klang beinahe prahlerisch. »Sehr gut gemacht. Wenn ich wollte, könnte ich jemandem damit die Hand schütteln,
aber ich will nicht. Ich würde Ihre Hand ja nicht fühlen, also wäre es sinnlos. Und wenn ich aus Versehen zu fest drückte, könnte es passieren, dass Sie danach selbst eine Prothese brauchen.«
    Ranjit fiel auf, dass der künstliche Arm tatsächlich sehr gut konstruiert war, die Bewegungen wirkten vollkommen natürlich. Er nahm sich vor, Myra davon zu erzählen. Nachdem Bledsoe die Flasche geöffnet hatte, goss er exakt zwei Zentimeter Whiskey in jedes Glas und reichte eines davon Ranjit. Dann wartete er gespannt ab, ob Ranjit seinen Whiskey mit einem anderen Getränk mischen würde. Als er darauf verzichtete und den ersten Schluck nahm, nickte Bledsoe beifällig und nippte selbst an seinem Glas.
    »Genau so sollte Whiskey genossen werden«, meinte er. »Unverdünnt, unverfälscht und in kleinen Schlucken. Natürlich können Sie ihn auch hinunterkippen oder mit sonst was mischen - dies ist ein freies Land -, aber man muss es zumindest einmal probieren. Waren Sie schon einmal im Irak?«
    Ranjit, der aus lauter Höflichkeit seinen Whiskey in kleinen Schlucken trank anstatt in einem Zug, schüttelte den Kopf.
    »Da ist mir das hier passiert.« Mit seiner linken Hand klopfte er auf die Prothese. »Die Schiiten und Sunniten waren versessen darauf, sich gegenseitig umzubringen, aber zwischendurch nahmen sie sich immer mal die Zeit, uns Amerikaner abzumurksen. Es war der falsche Krieg am falschen Ort, und er wurde aus den falschen Gründen geführt.«
    Ranjit heuchelte Interesse und gab ein paar Laute von sich, die man als Zustimmung auffassen konnte. Er fragte sich, ob Bledsoe vielleicht behaupten würde, der Krieg in Afghanistan sei richtig gewesen oder man hätte den Iran besetzen sollen. Aber Bledsoe hatte etwas anderes im Sinn. »Nordkorea!«, erklärte er. »Dort hätten wir etwas unternehmen müssen. Zehn Raketen auf zehn ausgewählte Ziele, und das Problem wäre gelöst.«
    Ranjit hustete. »Soweit ich weiß«, wandte er ein, noch ein Schlückchen von seinem Jack Daniel’s kostend, »besitzt Nordkorea
eine sehr große und modern ausgerüstete Armee, die direkt an der Grenze aufgestellt ist, keine fünfzig Kilometer von Seoul entfernt. Das macht es ja so schwierig, diesen Staat anzugreifen.«
    Bledsoe wedelte lässig mit der Hand. »Ja, sicher, es würde Verluste geben. Sogar ziemlich viele Tote, davon muss man ausgehen. Na und? Es würden Südkoreaner krepieren, aber keine Amerikaner. Nun ja …« Er zog eine Grimasse und ergänzte: »Ein paar amerikanische Truppen sind dort auch stationiert, aber man kann kein Omelette machen, ohne Eier zu zerschlagen, nicht wahr?«
    Ranjit gewann den Eindruck, dass Bledsoe immer gereizter wirkte, und als er eine zusammengeknüllte Serviette in einen Papierkorb warf, glaubte er, den Grund für dessen angespannte Stimmung zu erkennen. Die Serviette prallte von

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