Das letzte Theorem
unternehmen zu können. Trotzdem hatte man für alle Fälle zwölf Stunden vor dem Start die japanischen Generäle informiert - mit der strikten Auflage, diese Mitteilung geheim zu halten -, dass die USA ein Testflugzeug in ihre Region schicken würde, und man wäre ihnen sehr verbunden, wenn sie bis zum Ende dieser Operation wegschauen könnten.
Über dem Japanischen Meer begann Stiller Donner wieder zu steigen, bis er eine Flughöhe von zwölftausend Metern erreicht hatte. Die Westküste dieses Meeres gehörte zu Russland, das viel mehr Radarstationen in Betrieb hatte als Japan, und diese Posten waren zudem mit leistungsstärkeren Geräten bestückt. Aber auch das war irrelevant. Denn die hochrangigen russischen Militärs wussten ebenfalls, dass Stiller Donner keine Gefahr darstellte - nicht für ihr Land.
Als der Pilot und der Navigator sich einig waren, dass sie ihr Zielgebiet erreicht hatten, drosselten sie die Geschwindigkeit so weit herunter, dass Stiller Donner sich gerade noch in der Luft halten konnte, und brachten die Waffen in Bereitschaft. Diese Waffen - eine kleine Atombombe und ein Kupferrohr, dessen Durchmesser nicht größer als der Körper eines Mannes war - hätten noch vor zehn Jahren einen Kampfmittelspezialisten in Erstaunen versetzt, doch sie bildeten sozusagen die Seele von Stiller Donner.
Innerhalb des Leitsystems erschien eine Karte von Nordkorea, überlagert von einem langen, schmalen Oval, dem Fußabdruck der Waffe.
Kein Mensch in Stiller Donner betrachtete die Karte, denn in diesem Fluggerät befand sich kein lebendes Wesen. Der Captain und die gesamte Crew hielten sich daheim in Washington State auf und beobachteten die Karte auf einem Bildschirm. »Ich denke, wir sind angekommen«, wandte sich der Pilot, ein Amerikaner, an den Bombenschützen, der zufällig ein Russe war. »Fahren Sie die Schirme aus.«
»Verstanden«, erwiderte der Bombenschütze, legte die Finger auf das Keypad und tippte eine Sequenz ein. Schwarze Umrisse bildeten sich um die Ränder des Ovals, folgten dem Verlauf des Flusses Yalu, der Entmilitarisierten Zone, die die Grenze zu Südkorea bildete, und einem Teil der Pazifikküste. Diese Umrisse waren nichts Stoffliches, es gab kein Material, das den Auswirkungen dieser neuen Waffe hätte standhalten können. Das Entwickeln der elektronischen Kraftfelder, die die Funktion eines Schutzschirms erfüllten, war der schwierigste Teil beim Bau von Stiller Donner gewesen. »Schirme ausgefahren«, meldete der Bombenschütze dem Piloten.
»Ist die Position immer noch korrekt?«, fragte der Pilot den chinesischen Navigator, und als der bejahte, tat der Pilot etwas höchst Seltsames - er bekreuzigte sich. (Er hielt sich für einen vom Glauben abgefallenen Katholiken, doch in bestimmten Situationen war er sich nicht mehr so sicher, ob er tatsächlich mit seiner Konfession gebrochen hatte.) »Waffe abfeuern«, befahl er dem Schützen, und zum ersten Mal in der Geschichte der Welt verlor eine Nation einen Krieg, ohne dass jemand dabei zu Schaden kam.
Obwohl das nicht ganz stimmte.
Ein paar Herzpatienten im Reich des Anbetungswürdigen Führers starben. Sie hatten das Pech, Herzschrittmacher zu tragen, als die elektromagnetische Explosion stattfand, die mehr Energie freisetzte als ein Blitzschlag. (Aber so ziemlich die einzigen Nordkoreaner, die sich eine derart teure - aus dem Westen stammende - Technologie wie Herzschrittmacher leisten konnten, waren hochrangige Funktionäre. Das Volk vermisste sie nicht.)
Eine Handvoll Leute, die zu diesem Zeitpunkt unglücklicherweise in kleineren Flugzeugen unterwegs waren, überlebten den Absturz dieser Maschinen nicht. (Ebenfalls hochrangige Funktionäre, denen keiner eine Träne nachweinte.) Alles in allem forderte der jüngste Regimewechsel in Nordkorea weniger
Todesopfer als ein ganz normales Wochenende auf den Autobahnen und Landstraßen irgendeiner westlichen Nation.
Im Bruchteil einer Sekunde fielen sämtliche Telefonsysteme im Land des Anbetungswürdigen Führers aus. In fast allen Stromleitungen gab es Kurzschlüsse. Jede Waffe, die komplizierter war als eine Schrotflinte, konnte keinen einzigen Schuss mehr abfeuern - und die nordkoreanische Armee besaß massenhaft Waffen aller Art. Ohne Telefon und ohne Radio wusste keiner, was los war, wenn man sich nur bis auf Rufweite miteinander verständigen konnte. Diese Nation stellte für niemanden eine Bedrohung mehr dar, denn auf diesem Flecken Erde existierte nichts mehr, was
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