Das letzte Theorem
wollte sich nicht anmerken lassen, dass sein Freund mit seinem Vorwurf voll ins Schwarze getroffen hatte. Fast alle Meldungen hatten einen negativen Inhalt. Mindestens zwanzig Nationen beharrten trotzig auf ihrem Standpunkt, es sei ihr gutes Recht, jedes beliebige Kernforschungsprogramm zu betreiben, und die meisten dieser
Länder waren tatsächlich emsig damit beschäftigt, ihre eigenen atomaren Projekte zu forcieren. Nordkorea präsentierte sich - wieder einmal - als das typische Beispiel eines Schurkenstaates. Im offenbar nie zur Ruhe kommenden Irak drohte ein feindlicher Einfall von Schiiten in das an Erdölvorkommen reiche Kurdengebiet zu einem weiteren Konflikt auszuufern, der die Spirale der Gewalt in diesem geschundenen Land erneut in Gang setzen konnte.
In diesem Stil ging es weiter.
Beim Mittagessen am nächsten Tag wurde die Liste der schlechten Nachrichten obendrein um eine ganz persönliche Katastrophe bereichert.
Ranjit war sich dessen nur nicht auf Anhieb bewusst. Als er Gamini erspähte, der ein Stück weiter vor ihm an einem Tisch saß und skeptisch das Gericht beäugte, das die Cafeteria ziemlich dreist als Spezialität des Tages anpries, freute er sich nur, seinen Freund zu sehen. Doch als er sich dann zu ihm setzte, bemerkte er Gaminis Gesichtsausdruck. »Ist was Unangenehmes passiert?«, erkundigte er sich.
»Was Unangenehmes? Nein, keineswegs«, wehrte Gamini ab und stieß gleich darauf einen Seufzer aus. »Verdammt nochmal«, fuhr er fort, »offen gestanden, Ranjit, muss ich dir etwas erzählen. Es geht um ein Versprechen, das ich meinem Vater schon vor Jahren gab.«
Sofort regte sich in Ranjit Misstrauen. Diese Art von Versprechen und Gaminis Tonfall ließen nichts Gutes ahnen. »Was hast du ihm denn versprochen?«
»Ich gab dem alten Herrn mein Wort, dass ich mich nach meinem ersten Jahr an dieser Uni um eine Aufnahme in der London School of Economics bewerben würde. Er selbst hat sie auch besucht und er findet, dass es die beste Schule in der ganzen Welt ist, um etwas über Staatsführung zu lernen.«
In Ranjits Stimme mischte sich Ärger mit Verblüffung. »Über Staatsführung? An einer Schule für Ökonomie?«
»Das ist nicht der volle Name, Ranjit. Eigentlich lautet er London School of Economics and Political Science.«
Darauf konnte Ranjit nur mit seinem zu allen Gelegenheiten passenden »Huh« antworten. Mürrisch fügte er hinzu: »Du wirst dich also um Aufnahme an dieser ausländischen Schule bewerben, nur um ein Versprechen einzulösen, das du deinem Vater gabst?«
Gamini hüstelte. »Das stimmt nicht ganz. Ich meine, ich werde es nicht tun. Ich hatte diese Sache nämlich längst in Angriff genommen. Vor einem Jahr schickte ich meine Bewerbungsunterlagen ab. Die Idee stammte von meinem Vater. Er meinte, je früher ich mich um einen Studienplatz bemühen würde, umso besser stünden meine Chancen, dass sie mich nehmen würden. Wie es aussieht, hat er Recht gehabt. Sie haben mir nämlich einen positiven Bescheid geschickt. Der Brief kam letzte Woche. Gleich nach Ablauf meines ersten Jahres hier gehe ich nach London und studiere dort weiter.«
Das war die zweite Belastungsprobe, der die Freundschaft zwischen Ranjit Subramanian und Gamini Bandara ausgesetzt war, und bei weitem die schlimmere.
Für Ranjit liefen die Dinge nicht besser. Die Sendung einbalsamierter weißer Mäuse, die der Biologielehrer bestellt hatte, traf endlich ein, das widerliche Sezieren ging weiter, und für interessante Themen wie das Chikungunya-Fieber blieb keine Zeit mehr. Sogar sein Mathematikkurs, von dem er sich versprochen hatte, er würde ihn für die anderen langweiligen Fächer entschädigen, entpuppte sich als Enttäuschung.
Nach der ersten Woche an der Universität war Ranjit ziemlich sicher gewesen, er beherrsche alles an Algebra, was er jemals würde brauchen können. Um Fermats großes Rätsel zu lösen, musste er sich nicht mit Kegelschnitten oder Summennotation befassen. Trotzdem hatte er sich während der ersten Monate zumindest flüchtig der Materie gewidmet; das Bestimmen der Nullstellen eines Polynoms und das Arbeiten mit Logarithmen
fand er einigermaßen unterhaltsam. Aber im dritten Monat zeichnete sich ab, dass Dr. Christopher Dabare, der Mathematikdozent, erstens nicht daran dachte, in seinem Unterricht einen Stoff durchzunehmen, der irgendwie mit Zahlentheorie zusammenhing, sondern selbst so gut wie keine Ahnung davon hatte. Noch ärgerlicher war, dass er keine Lust
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