Das letzte Theorem
als sie in den bequemen Liegestühlen am Swimmingpool lagen, »dann fügen wir uns halt. Wenn es ihr so viel Spaß macht, uns nach Strich und Faden zu verwöhnen, dann sollten wir ihr das Vergnügen nicht nehmen.«
Leider war die Welt außerhalb dieser Oase der Annehmlichkeiten nicht so freundlich. Nordkorea stellte keine Bedrohung mehr dar, aber überall gab es noch Krisenherde, die die ganze Welt wie Pockennarben überzogen. Kleinkriege und Ausbrüche von Gewalt waren an der Tagesordnung. Nach der Explosion von Stiller Donner herrschte zwar eine Weile relative Ruhe, während kriegführende Länder sich bedeckt hielten, aus Angst, sie könnten als nächstes Ziel für einen Coup dieser Art ausgesucht werden. Die Waffe wurde aber bisher kein zweites Mal eingesetzt - und bald wurde auf der ganzen Welt munter weitergebombt und -geschossen. Ein Zyniker hätte gesagt, der Normalzustand sei wieder eingetreten.
Manchmal wünschte sich Ranjit, Gamini Bandara würde vorbeischauen und ihm mit seinem Insiderwissen die Situation da draußen ein bisschen erhellen. Aber sein Freund ließ sich
nicht blicken. Vielleicht war er viel zu sehr damit beschäftigt, die Lage im ehemaligen Nordkorea zu stabilisieren, um Zeit für einen Besuch zu finden, mutmaßte Ranjit.
Und tatsächlich war in diesem Land eine Menge los. Die durch die Explosion beschädigten Stromleitungen hatte man mittlerweile repariert, die Versorgung mit Elektrizität war gewährleistet. Äcker und Felder, die brachgelegen hatten, weil man die jungen Männer, die sie sonst bewirtschafteten, zum Militär eingezogen hatte, wurden wieder bestellt. Sogar die Produktion von Konsumgütern war angelaufen. Und es kursierten reichlich konfuse Berichte über Wahlen, die demnächst abgehalten werden sollten. Aber diese Nachrichten waren so verwirrend, dass sich weder die Subramanians noch andere Leute, mit denen sie sich darüber unterhielten, einen Reim darauf machen konnten. Computer schienen eine wichtige Rolle zu spielen, aber etwas Konkretes ließ sich nicht in Erfahrung bringen.
Wenn Myra und Ranjit des Nachts eng umschlungen im Bett lagen und ihre üblichen Gespräche führten, gelangten sie immer wieder zu dem Schluss, dass sich seit dem Einsatz von Stiller Donner weltweit tatsächlich manches gebessert hatte, obwohl die Gesamtsituation immer noch ziemlich übel aussah.
Was sich jedoch nicht verbessert hatte, war Ranjits akademische Laufbahn. Das größte Problem bestand darin, dass sie offenbar nicht in Gang kam. Nach der deprimierenden Reaktion auf sein erstes Seminar war er fest entschlossen, beim zweiten Anlauf nicht zu scheitern.
Krampfhaft überlegte er, welches Thema er in dem nächsten Seminar behandeln sollte. Nach langem und gründlichem Nachdenken beschloss er, Schritt für Schritt zu rekapitulieren, wie er auf Fermat aufmerksam wurde und ihm das Rätsel keine Ruhe mehr ließ, bis er es schließlich löste. Dr. Davoodhboy billigte seinen Plan und meinte, er sei zumindest einen Versuch wert.
Die Studenten hingegen waren weniger begeistert. Anscheinend hatte sich seine unorthodoxe Art, ein Seminar abzuhalten, herumgesprochen. Ein paar Unverdrossene schrieben sich ein, eine viel größere Anzahl von Studenten suchte ihn auf, um ihn über sein Konzept zu befragen, um sich dann nie wieder bei ihm zu melden. Die meisten fanden, Ranjit hätte dieses Thema in seinen Vorträgen und Interviews bereits erschöpfend behandelt. Das Seminar wurde mangels Interesse abgesagt.
Ranjit überlegte, ob er sich der Forschung widmen sollte. Als Gegenstand boten sich die berühmten sieben ungelösten Rätsel an, die das Clay Mathematics Institute am Anfang des 21. Jahrhunderts aufgelistet hatte. Die Aufgaben selbst waren nicht nur interessant, sondern das Institut stellte für die Lösung einer jeden Aufgabe eine Belohnung von einer Million Dollar in Aussicht.
Ranjit besorgte sich diese Liste und sann darüber nach. Ein paar der gestellten Aufgaben waren selbst für ihn abstrus. Aber da gab es immerhin noch die Hodge-Vermutung, die Aussage von Poincaré und die Riemann-Hypothese - nein, nein, ein paar Lösungen waren bereits gefunden und die Belohnung kassiert worden. Und die größte Herausforderung blieb nach wie vor das P-gleich-NP-Problem.
Doch egal, wie lange Ranjit nachdachte, er konnte sich zu keinem Entschluss aufraffen. Keines dieser mathematischen Rätsel vermochte ihn zu faszinieren; das Gefühl, das ihn gepackt und nie wieder losgelassen hatte, als er zum
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