Das letzte Theorem
seinen Organismus in Unordnung brachte.
Myra glaubte nicht, dass die Weltraumstrahlung schuld an dem seltsamen Verhalten des Kleinen war, aber sie merkte, dass Ranjit immer ängstlicher wurde. Sie beschlossen, sich medizinischen Rat einzuholen.
Sie konsultierten die besten und erfahrensten Ärzte, und Spezialisten gab es viele. Egal, wohin die Subramanians ihren Sohn
brachten, Ranjits Ruhm ebnete ihnen jeden Weg. Niemals wurden sie von einem jungen Mediziner begrüßt, der gerade frisch von der Universität kam (und vielleicht über die neuesten medizinischen Erkenntnisse im Bilde war), sondern immer von einem älteren Doktor um die sechzig, angefüllt mit dem Wissen einer früheren Generation und mittlerweile der Leiter irgendeiner Abteilung. Alle fühlten sich geehrt, dass der berühmte Dr. Subramanian sich an ihre Einrichtung gewandt hatte - sei es ein Krankenhaus, ein Labor, ein medizinisches Institut, was auch immer -, und alle gelangten zu derselben bedrückenden Diagnose.
Robert war in fast jeder Hinsicht ein gesundes Kind. Mit einer einzigen Ausnahme. Irgendwann in seinem jungen Leben war etwas schiefgelaufen. »Das Gehirn ist ein sehr komplexes Organ«, sagten alle - oder sie meinten es, auch wenn manche Ärzte auf andere Formulierungen zurückgriffen, um dieselbe schlechte Nachricht kundzutun. Eine verdeckte Allergie konnte schuld sein, ein Geburtsfehler, ein stummer Infekt. Und im nächsten Punkt waren sich alle einig - es gab keine Medizin, keinen chirurgischen Eingriff oder sonst ein Mittel, um Robert »normal« zu machen, denn sämtliche durchgeführten Tests hatten ergeben, dass der Sohn von Ranjit Subramanian und Myra de Soyza an einer Regression litt. Und sein Verstand entwickelte sich nun langsamer, als man erwarten durfte.
Mittlerweile hatten die Subramanians eine lange Reihe von Fachärzten aufgesucht. Eine Medizinerin, die sich auf die sprachliche Entwicklung bei Kindern spezialisiert hatte, machte ihnen Angst. »Robert hat angefangen, die Konsonanten auszulassen - zum Beispiel sagt er jetzt ›all‹ statt ›Ball‹ und ›ugel‹ statt ›Kugel‹«, teilte sie ihnen mit. »Ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass er mit Ihnen genauso spricht wie mit den Kindern aus seiner Spielgruppe?« Beide Eltern nickten. »In seinem Alter passen die meisten Kinder ihr Sprachmuster schon an bestimmte Personen an, je nachdem, mit wem sie reden. Zu Ihnen könnte er beispielsweise sagen: ›Gib mir mal den Apfel.‹ <
Gegenüber einem anderen Kind würde es dann heißen: ›Gimmi mal den Appel.‹ Und was ist mit der Verständlichkeit? Ich denke, Sie wissen immer, was er sagt, aber verstehen fremde Leute ihn auch?«
»Nicht immer«, gab Ranjit zu.
Myra korrigierte ihn. »So gut wie nie«, stellte sie klar. »Manchmal macht es Robert wütend. Aber besteht nicht die Möglichkeit, dass er aus diesem Problem herauswächst, wenn er älter wird?«
»Durchaus«, betonte die Ärztin. »Als Albert Einstein so alt war wie Robert, sprach er noch schlechter als Ihr Sohn. Aber wir müssen diese Entwicklung sorgfältig beobachten.«
Doch der nächste Mediziner, dem Myra dieselbe Frage stellte, antwortete nur fromm: »Uns bleibt immer noch die Hoffnung, Dr. de Soyza.«
Ein anderer meinte noch demütiger: »Es gibt Zeiten, da darf man Gottes Willen nicht in Zweifel ziehen.«
Kein Einziger erklärte: »Es gibt da ein paar bestimmte Dinge, die Sie unternehmen können, um Robert zu helfen.«
Falls ein Mittel existierte, das Roberts Zustand hätte verbessern können, so hatte die Medizin es noch nicht entdeckt. Und um herauszufinden, woran der Junge überhaupt litt, hatte man ihn ziemlich unerfreulicher Prozeduren unterzogen. Zum Beispiel schnallte man ihn an einem Untersuchungstisch fest, um seinen Kopf röntgen zu können. Man hatte ihm das Haupthaar abrasiert und seinen kahlen Schädel dann mit einem magnetischen Klebeband umwickelt. Mit Gurten auf eine Liege fixiert, schob man ihn Zentimeter für Zentimeter in einen Kernspin-Tomographen … und all das bewirkte, dass der kleine Robert Subramanian, der noch nie zuvor in seinem jungen Leben Angst gekannt hatte, jedes Mal zu schreien begann, wenn sich ihm eine in Weiß gekleidete Person auch nur näherte.
Doch etwas Nützliches hatte die Medizin hervorgebracht. Es gab Medikamente, die verhinderten das Umfallen - die
Ärzte nannten diese Störung den »petit mal«, um ihn von dem »grand mal«, dem großen epileptischen Krampfanfall, zu unterscheiden. Und seit Robert
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