Das letzte Treffen
zuletzt, wenn Glatteis
war. So wie an diesem Tag.
Warum Jakob gegen Mittag mit
diesem Spiel aufhörte, ist aus dem Bericht des Magazins nicht
ersichtlich. Vielleicht hatte er schon zu oft gegen seinen Freund
verloren.
Ihre Wege trennten sich.
Jakob ging zu sich nach Hause. Karl spielte weiter am Strand. Und
verschwand.
Matthildur beschreibt ihre
Angst und Furcht an diesem verhängnisvollen Tag. Ihr wurde erst gegen
Abend bewusst, dass Kalli den ganzen Tag nicht nach Hause gekommen war. Da
rief sie zu Hause bei Jakob an, der sagte, er habe seinen Freund seit
Mittag nicht mehr gesehen. Und rief auch andere Freunde und Bekannte in
der Kleinstadt an. Aber niemand hatte ihren Sohn bemerkt.
Gegen neun Uhr abends meldete
sie sich telefonisch bei den Schwarzjacken in Keflavik, die ihr sagten,
sie solle ganz ruhig bleiben, der Junge würde sich bestimmt wieder
einfinden.
Als sich Kalli bis elf Uhr an
diesem Abend nicht gemeldet hatte, hielt sie nichts mehr. Sie ging mit
Jakob zur Polizeiwache, überzeugt davon, dass ihrem Jungen etwas
passiert war.
Nach einem ausführlichen
Gespräch auf der Wache zogen zwei Schwarzjacken los, um Kalli am
Strand zu suchen. Aber sie fanden ihn nirgendwo. Zumal man
am Felsenstrand in dieser dunklen Winternacht kaum die eigene Hand vor den
Augen erkennen konnte.
Trotzdem suchten die
Schwarzjacken eine ganze Stunde lang. Sie riefen Kalli, ohne eine Antwort
zu erhalten.
Der Rettungsdienst der
Pfadfinder trat am nächsten Morgen zur Suche an, sobald es hell
wurde.
Gegen Mittag entdeckten die
Pfadfinder ein Käppi, das Kalli zu Weihnachten bekommen hatte. Es lag
zwischen riesigen Felsen am Strand. Nur knapp über dem Meeresspiegel.
Das Käppi war leicht am
Emblem vorne auf der Stirnseite zu erkennen. Der Buchstabe »A«
war hervorgehoben. Rot.
A wie für Angels. Engel.
So hieß ein
Baseballverein in Los Angeles.
»Ich habe jeden Tag an
der Suche teilgenommen, und nachts lag ich wach«, sagt Matthildur.
»Ich konnte tagelang nicht schlafen. Schließlich rief mein
Vater einen Arzt an, der mir eine Spritze gab. Daraufhin schlief ich zum
ersten Mal, seit mein Kalli verschwunden war. Am fünften Tag. Als ich
wieder aufwachte, hatten sie aufgehört zu suchen. Sie sagten, es hätte
keinen Sinn, die Suche fortzusetzen; ich müsste wie andere auch, die
ihre Angehörigen an das Meer verlieren, darauf warten, dass der
Meeresgott Aegir seine Beute wieder am Strand freigibt.«
Aber das Warten wurde lang.
»Ich weiß, manche
sagen, dass ich nach dem Verlust meines Kalli wunderlich geworden bin«,
sagt Matthildur. »Sie verstehen nicht, weshalb ich immer noch auf
mein Kind warte, ich kann doch nicht anders, und ich hoffe weiter, dass er
gefunden wird. Als die organisierte Suche nach ein paar Tagen eingestellt
wurde, wollte unser Gemeindepfarrer einen Gedenkgottesdienst in der Kirche
halten, aber ich sagte ihm, das komme nicht in Frage, bevor ich meinen
Jungen gesehen hätte. Pfarrer David hat mir immer
gesagt, ich soll nach vorne gucken, aber ich konnte nicht vergessen und
kann es immer noch nicht.«
Pfarrer David?
In der Zeitschrift steht auch
ein Interview mit der Schwarzjacke, die die Suche geleitet hat.
Njördur Njardarson sagt,
dass er nicht daran zweifle, was sich an diesem kalten Sonntag im Jahr
1974 abgespielt haben muss.
»Karl Illugason hat am
Strand gespielt, wo er zwischen großen Felsen umhergesprungen ist,
die nach einigen Tagen Frost vereist waren. Dort am Strand herrscht
starker Wellengang, und die Meeresströmung weiter draußen ist
sehr stark. Der Junge wird auf dem Glatteis abgerutscht und ins Meer
gefallen sein. Wahrscheinlich wurde er beim Sturz auf den Kopf ohnmächtig
und ist dann ertrunken, vermutlich in der Nähe der Stelle, an der wir
sein Käppi gefunden haben. Dieser Unfall war ein richtiges
Trauerspiel, nicht nur für die Familie, sondern für alle
Bewohner der Stadt. Dieses schlimme Ereignis hat uns alle sehr
mitgenommen.«
»Warum wurde die Leiche
des jungen nie an Land gespült?«
»Die wahrscheinlichste
Erklärung lautet, dass die Leiche auf dem Meeresboden festgeklemmt
ist und nie loskam«, antwortet Njördur. »In diesem
Landesteil dauert es oft lange Zeit, bis die Leichen Ertrunkener angespült
werden. Ich erinnere mich an einen Fall, wo die Leiche eines Seemannes
mehr als zwei Jahre später gefunden wurde, nachdem er
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