Das letzte Treffen
ertrunken war.
Und manche tauchen nie wieder auf, leider.«
Die Briefe in Matthildurs
Umschlag sind beide vom Bezirksverwalter in Keflavik. Der ältere
stammt vom Herbst 1974. Der andere ist 1975 geschrieben worden.
In beiden Fällen handelt
es sich um eine Antwort auf eine schriftliche Anfrage, die Matthildur zum
Amt geschickt hatte.
Dort wird kurz angebunden
wiederholt, dass das Amt keine weitere Veranlassung sehe, das Verschwinden
von Karl Illugason zu untersuchen.
Ich schiebe die Papiere
wieder in den Briefumschlag. Lege ihn vor mich auf den Schreibtisch. Lehne
mich in meinem Sessel zurück. Gehe im Geiste noch mal die Kernpunkte
der Gespräche durch.
Da findet sich nichts, was
mich überraschen würde.
Der Fall ist sicher traurig.
Aber ganz einfach. Und längst zu den Akten gelegt.
Trotzdem fällt es mir
schwer, ihn einfach so abzulehnen. Wahrscheinlich, weil Matthildurs
bittender Blick nicht aus meinem Gedächtnis verschwinden will. Mir
keine Ruhe gibt.
Zum Henker!
Ist es denkbar, dass Donald
Garber etwas mit dem Verschwinden des kleinen Kalli zu tun hatte? War er
an diesem Tag in Keflavik?
In keinem der Interviews mit
Matthildur oder Njördur wird ein amerikanischer Soldat erwähnt.
Aber sein Name könnte natürlich in den Unterlagen des Falles zu
finden sein. Die sich wahrscheinlich immer noch irgendwo in den Archivschränken
in Keflavik befinden.
Ich wende mich meinem
Computer zu. Schreibe eine kurze Mail an den Bezirksverwalter in
Reykjanesbaer. Verlange im Namen von Matthildur Haflidadöttir
Einsicht in alle Akten, die das Verschwinden von Karl Illugason am 17.
Februar 1974 und die Suche nach ihm betreffen.
Wird ein erneuter Blick in
die alten Dokumente ein anderes Licht auf den Fall werfen?
Wahrscheinlich nicht.
Trotzdem geht es mir
irgendwie besser, als ich die E-Mail abgeschickt habe. Es ist mir
gelungen, mein Gewissen zu beruhigen. Wenigstens für eine Weile.
16. KAPITEL
Donnerstag
Man sieht es Sigurjóna
äußerlich nicht mehr an. dass sie nach Strich und Faden
verdroschen wurde.
Ihr Gesicht ist sorgfältig
geschminkt, um die Wunden zu verstecken, die Baldvin Sigurlinnason ihr vor
knapp zwei Wochen zugefügt hat.
Sie trägt einen
schwarzen langen Rock, der ihr bis zu den Knöcheln reicht. Der dicke
Kragen ihres hellblauen Pullovers umschmeichelt den Hals. Und die blauen
Flecken von den gewalttätigen Griffen ihres Ehemannes.
Trotzdem ist sie ständig
auf der Hut. Mit einem Gemisch aus Furcht und Wachsamkeit im Blick. Wir
setzen uns in die Küche, wo Sigurjóna ganz offensichtlich die
Morgenzeitungen durchgeblättert hat, als ich zu Besuch kam.
»Wie geht es dir?«
»Ich habe keine
Schmerzen mehr«, antwortet sie. »Manchmal habe ich sogar das
Gefühl, das alles muss ein schlechter Traum oder Albtraum gewesen
sein.«
»Das war leider kein
Traum.«
»Nein, ich weiß.«
»Am wichtigsten ist es
jetzt zu verhindern, dass er wieder auf dich losgeht.«
Sie nickt und schiebt mir
eine Tasse mit dampfendem Kaffee zu.
»Wie Fanney dir mit
Sicherheit gesagt hat, wird häusliche Gewalt aller Erfahrung nach
immer stärker, wie eine ansteigende Flutwelle. Die Gewalt steigert
sich mit jedem neuen Übergriff.«
Ich öffne die
Aktentasche. Hole ausgefüllte Anträge heraus.
»Du musst diese Papiere
unterschreiben, um offiziell die Trennung von Bett und Tisch einzureichen.
Das ist der erste Schritt.«
Sigurjóna nimmt die
Unterlagen zur Hand, ohne sie zu lesen.
»Ich weiß nicht,
ob ich es jetzt tun will«, sagt sie.
»Das ist nur der Anfang«,
antworte ich. »Eine formelle und endgültige Scheidung ist ungefähr
ein Jahr lang auf dem Weg durch die Instanzen. Du hast genug Zeit, später
davon Abstand zu nehmen, wenn du es für richtig hälst, die
Scheidung abzublasen.«
»Ich weiß, ich
habe im Frauenhaus darum gebeten, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so
sicher, dass es gut von mir war, mich von Baldvin zu trennen.«
»Was hat sich geändert?«
»Ich darf mit den
Kindern hier sein und werde in Ruhe gelassen«, antwortet Sigurjóna.
»Baldvin kommt nur mit meiner Erlaubnis nach Hause.«
»Du kannst doch kaum
erwarten, dass das für immer so bleibt?«
»Doch, ich glaube
schon.«
»Glaubst du wirklich,
was Baldvin sagt?«
»Vielleicht nicht ganz,
aber ich vertraue den Worten meines Schwiegervaters.«
»Garantiert Sigurlinni
für seinen Sohn?«
»Ja,
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