Das letzte Treffen
er hat es mir
versprochen.«
»Und was musstest du
als Gegenleistung bringen?«
Sigurjóna weicht
meinem Blick aus. Ihr Blick ist unsicher.
»Er hat mich darum
gebeten, die Klage zurückzuziehen und es noch einmal zu versuchen. Er
will alles dafür tun, damit die Familie zusammenbleibt.«
»Du bist schlecht
beraten, die Klage in der jetzigen Situation zurückzuziehen«,
sage ich entschieden. »Besonders wenn man bedenkt, was später
passieren kann.«
»Ich muss auch an meine
Kinder denken, sie vermissen ihren Vater.«
»Hat Baldvin hier schon
einmal vorbeigeschaut, nachdem du wieder nach Hause gezogen bist?«
»Ich habe ihm erlaubt,
vorgestern Abend kurz zu Besuch zu kommen, um mit den Kindern zu spielen.«
Sie wirft mir einen schnellen
Blick zu.
»Ich will mich nicht
unter Druck setzen lassen, um etwas zu tun, von dem ich nicht weiß,
ob ich es wirklich möchte«, fügt sie hinzu und hebt die
Stimme. »Ich will es einfach nicht.«
»Ich mache nur das,
worum du mich gebeten hast«, antworte ich ruhig. »Was du in
der Sache unternimmst, ist ganz allein deine Entscheidung, nicht meine.«
»Ich überlege mir
die Sache noch.«
»In Ordnung. Hast du
die Schlösser austauschen lassen?«
Sigurjóna schüttelt
den Kopf.
»Mama, ich habe immer
noch solche Bauchschmerzen.«
Ihr sieben Jahre alter Sohn
steht in der Küchentür. Sein bunter Schlafanzug ist mit
Tierbildern aus einem Disney-Abenteuer bedruckt.
»Komm mal her,
Sigurlinni«, sagt sie und streckt die Hand aus.
Der Junge heißt also
nach seinem Großvater. Dem Landeszentralbankdirektor.
Er ist blass. Mit
verstrubbeltem Haar, als wäre er gerade aufgewacht. Hält sich
mit beiden Händen den Bauch.
Ich schließe meine
Aktentasche und erhebe mich.
Sigurlinni geht schnell an
mir vorbei zu seiner Mutter, die ihn auf den Schoß nimmt. Er
betrachtet mich mit seinen dunklen Augen. Oder besser gesagt, meinen
Babybauch.
Ich versuche, freundlich zu
sein.
»Erinnerst du dich, als
deine Mama mit deiner kleinen Schwester schwanger war?«, frage ich
und lege meine linke Hand auf meinen Kugelbauch.
Er schüttelt den Kopf.
Dickköpfig.
»Da hatte sie auch so
einen Babybauch«, fahre ich fort und lächle.
»Weiß ich«,
antwortet er und starrt mich böse an. »Das hab ich auf Fotos
von Mama gesehen.«
»Ia, natürlich.«
»Wie machen Lesben
eigentlich Kinder?«, fragt er.
»Sigurlinni!«,
ruft seine Mutter. »Das fragt man doch nicht!«
Ich schminke mir mein Lächeln
schlagartig ab.
»Was für einen Blödsinn
Kinder von sich geben«, sagt Sigurjóna entschuldigend.
»In diesem Alter
plappern sie gerne das nach, was sie von Erwachsenen hören.«
»Papa sagt, du bist
eine Lesbe«, redet der Junge weiter. »Er sagt auch, es ist nur
deine Schuld, dass er nicht bei uns schlafen darf.«
»Was für ein
Schwachsinn«, sage ich und blicke dem Jungen kalt in die Augen.
»Dein Papa darf nicht bei euch zu Hause sein, weil er ganz furchtbar
böse zu deiner Mama war.«
Sigurjóna tut dieser
Wortwechsel leid.
»Entschuldige«,
sagt sie und bringt mich zur Tür. »Ich wusste nicht, dass
Baldvin so mit den Kindern redet.«
»Du lässt mich
wissen, wenn du eine Entscheidung getroffen hast«, antworte ich.
»Und pass in den nächsten Tagen gut auf dich auf. Du weißt
selber, dass die Gefahr nicht vorbei ist.«
»Entschuldige«,
wiederholt sie.
»Du musst dich nicht für
das entschuldigen, was dein Mann verbockt hat«, antworte ich und
halte mir den weichen warmen Kragen des Pelzmantels direkt an den Hals.
»Das sollte er selber tun.«
Der feindliche Blick vom
kleinen Sigurlinni folgt mir im Gedächtnis bis hinaus zum
Silberhengst, der auf dem Parkplatz auf mich wartet. Seine Worte erinnern
mich an die traurige Tatsache, dass Kinder manchmal noch unverblümter
und erbarmungsloser sind als die Erwachsenen.
Trotzdem kann ich es dem
Jungen kaum verdenken, wenn er seinem Vater zuhört.
»Niemand kennt seinen
Vater völlig.«
Sagt Mama.
17. KAPITEL
Die hohen dunkelgrauen
Gitterpfosten, die das Gefängnis Litla-Hraun umgeben, erheben sich
gegen den wolkenlosen Himmel im Süden. Das tiefe Meer jenseits des
Strandes liegt in der Windstille spiegelglatt, so weit das Auge reicht.
Andri Ólafur Sveinsson
ist in völliger Isolationshaft. Er darf nicht einmal die täglichen
Nachrichten verfolgen. Darf kein Fernsehen
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