Das letzte Treffen
richtig fit. Reicht
es dir vielleicht, wenn du mit ihm sprichst?«
»Nein, ich möchte
die Originalunterlagen sehen.«
»Dann suchen wir weiter«,
antwortet der Bezirksverwalter. »Wenn es diese Akte gibt, dann
finden wir sie, ehm, aber das dauert seine Zeit.«
»Matthildur Haflidadöttir
hat nicht mehr viel Zeit.«
»Wir tun unser Bestes.«
Oh Mann!
Wenn Mitarbeiter des öffentlichen
Dienstes vorgeben, ihr Bestes zu tun, dann besteht keine
Hoffnung auf schnelle Ergebnisse.
Ich blättere im
Telefonbuch.
Njördur Njardarson wohnt
immer noch in Keflavik. Wenn er sich über mein Anliegen wundert, lässt
er es sich nicht anmerken.
»Wie geht es
Matthildur?«, fragt er mit seiner tiefen Bassstimme.
»Sie liegt im Sterben.«
»Ach ja, ist es so
weit.«
»Weißt du
vielleicht, warum der Bezirksverwalter die Akten über das
Verschwinden von Karl Illugason und die Suche nach ihm nicht findet?«
»Als ich zum letztes
Mal davon gehört habe, steckten manche Akten aus diesen Jahren noch
immer in Umzugskartons.«
»Was für ein
Umzug?«
»Das Archiv des Amtes
wurde vor zwei Jahren in ein neues Gebäude verlegt.«
»Weißt du noch,
welche Berichte es über diesen Fall geben sollte?«
»Nein, das weiß
ich jetzt nicht mehr so genau, es ist ja auch schon so lange her, seit ich
sie geschrieben habe.«
»Aber du hast doch
sicher Protokolle von Verhören geschrieben?«
»Ja, natürlich,
sie müssen irgendwo da sein.«
»Kannst du mir etwas
über die Ermittlungen erzählen? Wenn ich bei dir vorbeischaue?«
»Ich bin nicht sicher,
wie viel ich heute noch dazu beisteuern kann, aber du bist herzlich
willkommen.«
»Heute Abend?«
»Ist es so dringend?«
»Für Matthildur
ist es dringend.«
»Ich verstehe.«
Njördur schweigt einen
Moment am Telefon. Dann schlägt er vor:
»Na ja, du kannst gerne
zum Nachtkaffee vorbeikommen, nach den Nachrichten im Fernsehen.«
»Wunderbar!«
23. KAPITEL
Die alte Schwarzjacke überragt
mich in der Tür.
Durchtrainierter Riese.
Sicher zwei Meter groß. Wie ein Basketball-Freak.
»Komm, wir sprechen
zusammen in der Küche«, sagt Njördur Njardarson und
bedeutet mir mit einer Handbewegung, dass ich den Gang nach links gehen
soll. »Ich habe Kaffee gekocht.«
Er wohnt im zweiten Stock
eines hellgrünen Mehrfamilienhauses. Einen Steinwurf oberhalb des
Keflaviker Hafens.
»Wohnst du hier
alleine?«, frage ich.
»Ja, meine Frau Dóra
ist vor zwei Jahren gestorben.«
Die Küche sieht
antiquarisch aus. Die Einrichtung ist wirklich heruntergekommen. Aber die
Aussicht über die momentan stille Bucht Faxaflói macht einen
atemberaubenden Eindruck.
Njördur hat schon den
Tisch gedeckt. Zwei Kaffeetassen. Kekse und Kleinur, das frittierte
Schmalzgebäck.
»Wie ist es denn so,
Pensionär zu sein?«, frage ich und nippe vorsichtig am Kaffee.
»Besser, als ich
erwartet habe«, antwortet er und schnippt einen Kekskrümel aus
seinem braun gemusterten Pullover. »Ich hatte schon immer andere
Interessen neben dem Beruf, und deshalb bin ich den Tag über beschäftigt.«
»Welche Interessen?«
»Ich habe eine
unheilbare Angelsucht«, antwortet Njördur mit einem Lächeln
auf den Lippen. »Ich nutze die Wintermonate, um Fliegen zu basteln,
die ich dann im Sommer auf meinen Angeltouren für Forellen benutze.
Außerdem halte ich unser Sommerhaus im Thrastarskögur in
Schuss.«
»Du hast also genug zu
tun?«
»Ja, so könnte man
es nennen.«
»Denkst du nicht mehr
über Kriminalfälle nach?«
»Das würde ich
nicht sagen. Ich verfolge sehr genau, was passiert, und gehe manchmal
hinunter auf die Wache, um mit den jungen Männern einen Kaffee zu
trinken.«
Sein Kaffee ist erträglich.
Kann aber natürlich in keinster Weise mit einem Espresso mithalten.
»Kommen wir zum
Verschwinden von Karl Iliugason.«
»Was möchtest du
wissen?«
»In einem Interview für
eine Zeitschrift im Jahr 1974 sprichst du Gerüchte an, die wegen des
Verschwindens des Jungen in Umlauf waren. Was waren das für Gerüchte?«
Njördur stellt seine
Kaffeetasse ab.
»Ich weiß nicht,
an was du dich aus der Zeit erinnern kannst …«
»An nichts«,
falle ich ihm ins Wort. »Ich war vier Jahre alt.«
»Ach so, ja. Zu dieser
Zeit waren die abwegigsten Gerüchte hier im Ort in Umlauf, besonders
im Zusammenhang mit der Suche nach Geirfinnur Einarsson. Er ist
Weitere Kostenlose Bücher