Das letzte Treffen
die Uhr durch lange, geschlossene Rohrsysteme.
Es ist Fanney.
Sie bittet mich, bis zum
Abend bei ihr vorbeizuschauen. Ich soll eine Frau mittleren Alters
treffen, die rechtliche Hilfe braucht. Um sich aus einer gewalttätigen
Partnerschaft zu lösen.
»Hast du etwas von
Sigurjóna gehört?«, frage ich.
»Ja, erst gestern noch«,
antwortet Fanney. »Die Familie hat sie davon überzeugt, dass
sie versuchen soll, die Ehe zu retten.«
»Ich bleibe bei meiner
Meinung. Ich halte Baldvin für einen brutalen Schläger.«
»Sigurjöna scheint
sich selbst eingeredet zu haben, dass seine Gewaltausbrüche dem
hochprozentigen Alkohol zuzuschreiben sind, und Sigurlinni hat ihr
versprochen, dass Baldvin in Zukunft nur noch leichtprozentigen Wein
trinken wird. Das soll das Problem lösen.«
»Wie leichtgläubig.«
»Sie wollen sogar
versuchen, am Wochenende in einem Sommerhaus, das Sigurlinni irgendwo im
Borgarfjördur besitzt, ihrer Ehe eine zweite Chance zu geben.«
»Sie fährt mit
Baldvin alleine aufs Land?«
»Ja, und Sigurjöna
klingt so, als würde sie sich wirklich auf das Wochenende freuen.«
»Hoffentlich erlebt sie
keine Enttäuschung.«
»Ich kann in der Sache
nichts weiter unternehmen«, antwortet Fanney. »Sie hört
mir nicht einmal mehr zu.«
Nein, natürlich nicht.
Hoffnung und Glauben sind die
Zwillinge des Selbstbetrugs. Der die wichtigste Voraussetzung für die
Liebe ist. Gegen eine betörende Fata Morgana dieser Art helfen auch
keine warnenden Worte. Nur die schmerzvolle Wirklichkeit der eigenen
Erfahrung.
Leider.
Ein Bibliothekar mittleren
Alters bringt mir einen Kaffee. Lässt mich ganz in Ruhe, um den
Inhalt der grauen Akte durchzusehen.
Die Protokolle sind alle mit
einer alten Schreibmaschine geschrieben.
Das älteste ist auf
Montag, den 18. Februar 1974 datiert. Dem Tag nach Karl Illugasons
Verschwinden. Da wird alles vom vorigen Abend über den Fall
berichtet. Von Matthildurs Sorgen und was die Schwarzjacken unternommen
haben.
Die Kleidung des Jungen wird
beschrieben. Auch die Gegebenheiten am Strand, wo gegen Mitternacht eine
grobe Suche stattgefunden hat.
Es gibt ein paar knappe
Berichte von einigen Verhören. Außerdem einen täglichen
Überblick, wann und wo nach dem Jungen gesucht wurde.
Ich lese alle Protokolle
hintereinander, ohne auf etwas Neues zu stoßen - bis zu der
Zeugenaussage von Donald Garber.
Njördur Njardarson hat
den Amerikaner am Mittwoch, den 20. Februar 1974 verhört. In
Matthildurs Wohnung.
Im Protokoll ist festgehalten
worden, dass Donald an jenem Wochenende nicht in Keflavik war. Er sei mit
Andri Ólafur Sveinsson auf einen Tanzabend aufs Land gefahren. Sie
seien kurz nach Samstagmittag ins Südland aufgebrochen und erst am
Sonntagabend nach Keflavik zurückgekehrt.
Ein paar Tage später
wurde Hermann Jónatansson ein weiteres Mal verhört. Er soll
genauer darlegen, wann er sich wo befunden hat, bevor und nachdem er Karl
Iliugason gegen ein Uhr mittags am Strand gesehen hat.
Hemmi sagt aus, dass er in
der Nacht zum Sonntag gegen fünf Uhr morgens eingeschlafen ist.
Nachdem er sich auf zwei Partys amüsiert hatte. Er sei gegen Mittag
aufgewacht, dann hinausgegangen, um nach Alkohol zu fahnden, aber überall
auf verschlossene Türen gestoßen.
In der Nähe der
Slippanlage habe er Jakob Geirsson getroffen, der gerade auf dem Weg vom
Strand auf die Straße war. Hemmi sah, wie Karl Iliugason zwischen
den Felsen spielte. Kurz darauf traf Hermann Jönatansson schließlich
auf einen barmherzigen Samariter:
Donald Garber.
Hermann sagt aus, dass er
Donald auf der Hafnargata in Keflavík gegen zwei Uhr getroffen hat.
Der Ami sei in seinem Auto unterwegs gewesen, einem neuwertigen Ford
Falcon, und habe ihm zwei Biere gegeben, um dem Kater entgegenzuwirken.
Unter Hermanns Aussage wurde
mit kräftiger Handschrift geschrieben:
»Es ist nicht möglich,
Donald Garber noch einmal zu verhören, da er zurück in die USA
gefahren ist. Aber Andri Ólafur Sveinsson bestätigt, dass
Donald mit ihm an diesem Wochenende einen Ausflug ins Südland
unternommen hat. Donald kann daher nicht zu der Zeit in Keflavik gewesen
sein, als Hermann ihn angeblich getroffen hat.«
Unterschrieben von NN: Njördur
Njardarson.
Interessant.
Irgendwer hat gelogen. Das
steht fest.
War Donald Garber wirklich an
diesem Tag in Keflavik, wie Hemmi es bei
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