Das letzte Treffen
alleine
mit dir oder deinem Bruder?«
»Ja, er hat uns
manchmal Filme auf der Base gezeigt, während Mama gearbeitet hat. Er
hat uns auch Süßigkeiten gegeben, grünen Kaugummi und so
was.«
»Hast du ihn gemocht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Maria zögert die Antwort
hinaus. Tief im Inneren ist sie eindeutig aufgewühlt.
»Warum mochtest du
Donald nicht?«, frage ich erneut.
»Meinst du, es war für
mich als Kind einfach, überall gesagt zu bekommen, dass meine Mutter
eine Amihure ist?«, fragt sie aufgebracht.
»Ich verstehe.«
»Nein, du musst das
selbst erleben, um es zu verstehen.«
Maria bemüht sich, ihre
Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Und dein Bruder Kalli,
mochte er Donald auch nicht?«
»Das weiß ich
nicht.«
»Hat Donald ihm das Käppi
geschenkt, das am Strand gefunden wurde?«
»Die Baseball-Mütze?«
»Ja.«
Maria nickt.
»Waren Donald und Kalli
irgendwann einmal zusammen alleine?«
»Woher soll ich das
denn wissen?«, fragt Maria schnippisch.
»Erinnerst du dich an
nichts, was darauf hindeuten könnte?«
»Jedenfalls nicht zu
Hause in der Sudurgata«, antwortet sie nach reiflicher Überlegung.
»Aber Kalli ging manchmal alleine mit Mama hoch nach Rockville.«
»War er dann bei
Donald, während eure Mutter geputzt hat?«
»Das weiß ich
nicht.«
»Aber könnte es
sein?«
»Ja, davon gehe ich
aus. Mama könnte sich daran erinnern.«
Maria schlägt ihre Beine
übereinander.
»Merkwürdig, dass
ich an diese Möglichkeit nicht schon früher gedacht habe«,
sagt sie nachdenklich. »Obwohl es nicht an dem Sonntag gewesen sein
kann, an dem Kalli ins Meer fiel, denn an dem Tag gingen wir nicht auf die
Base.«
»Hat Kalli nie eine
Bemerkung gemacht, dass sich etwas Unnormales bei Donald abgespielt hat?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Nie?«
»Nein.«
»In Ordnung. Möchtest
du einen Kaffee?«
Maria gelingt es langsam,
ihre alten Erinnerungen, die in ihrem Inneren brodeln wie glühende
Lava unter einem Gletscher, wieder in die Schranken zu weisen.
Hmm.
»Fährst du oft
nach Keflavik?«, frage ich und stelle eine Kaffeetasse auf den
Schreibtisch.
»Ich versuche, Mama und
Opa an den Wochenenden zu besuchen, an denen ich keinen Dienst habe.«
»Warum hast du Pflege
studiert?«
»Warum nicht?«
Ich schaue sie fragend an.
»Wahrscheinlich, weil
Mama immer so krank war«, antwortet sie nach einigem Nachdenken.
»Ich fand, ich müsste mehrwissen, um mich richtig um sie kümmern
zu können.«
»Und dein Vater?«
»Den kenne ich nicht.«
»Ach?«
»Er hat uns verlassen,
als ich fünf Jahre alt war«, sagt sie mit wachsender
Aggressivität in der Stimme. »Warum sollte ich ihn kennen
wollen?«
»Verwendest du manchmal
den Namen Karitas?«
Die Frage scheint sie völlig
zu verblüffen. Sie starrt mich an.
»Vor kurzem?«, füge
ich hinzu.
»Mich hat noch nie
jemand etwas derart Idiotisches gefragt«, antwortet sie schließlich
überheblich. »Warum sollte ich den Namen wechseln?«
»Um so zu tun, als wärst
du eine andere.«
»Ich bin stolz darauf,
Maria zu heißen. Mama hat mich so getauft, damit ich wie die Mutter
Jesu heiße. Mir würde nie im Leben einfallen, meinen Namen zu
ändern.«
»Noch nicht mal, um
inkognito zu sein?«
»Inkognito?«,
wiederholt sie aufgebracht. »Warum sollte ich inkognito sein wollen?
Ich habe selten etwas so Dummes gehört.«
»Manche nennen einen
falschen Namen, wenn sie im Nachtleben unterwegs sind. Um Nachspiele von
One-Night-Stands zu vermeiden.«
»Das habe ich noch nie
getan.«
Ich lächele. Um die
Sache ad acta zu legen.
Natürlich könnte
Marias rotes Haar ein merkwürdiger Zufall sein.
»Zufälle sind
Gottes Art von Humor.«
Sagt Mama.
27. KAPITEL
Mittwoch
Die Unterlagen von 1974
wurden gefunden.
Njördur Njardarson hatte
recht. Die alte Schwarzjacke aus Keflavik.
Die Akte befand sich nach wie
vor in einem Umzugskarton. Wie auch viele andere alte Unterlagen, die noch
nicht ihren endgültigen Platz in den neuen Stahlschränken des
Archivs bekommen haben.
Ich rausche auf meinem
gehorsamen Silberhengst durch Hafnarfjördur. Auf dem Weg nach
Keflavik, wo ich im Lesesaal des Archivs die Berichte einsehen kann.
Mein Handy klingelt, als ich
gerade an den rot-weiß gestreiften Türmen des Aluminiumwerks in
Straumsvik vorbeidüse. Hier plätschert das glühende Metall
rund um
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