Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
geändert«, sagte er ruhig. »Der Bruder hat nicht mehr die Kontrolle.«
»Nein, Lucas«, erwiderte Rab, beugte sich vor und packte ohne Vorwarnung Lucas’ Hand. »Der Bruder hat nicht mehr die Kontrolle. Aber nicht wegen dir. Nicht wegen dem, was du und deine Freunde getan haben. Du denkst, dass sich deswegen alles geändert hat? Du hast ja keine Ahnung.«
»Keine Ahnung wovon?«, fragte Lucas verärgert und schob Rabs Hand weg. »Du weißt ja nicht, wovon du redest, Rab. Du bist ein Säufer. Du lebst hier draußen im Niemandsland … Erzähl mir einfach von den Spitzeln. Was machen sie hier?«
Rab holte tief Luft. »Sie bringen Sachen. Lieferungen. Nahrungsmittel, Getreide. Aus anderen Lagern und Siedlungen. Abgaben, nennt es der Bruder.«
Lucas zog ungläubig die Stirn in Falten. »Aber ich verstehe nicht. Ich habe die Lieferungen, die von den Versehrten kamen, doch gestoppt«, sagte er unsicher. Er musste daran denken, wie er dahintergekommen war, dass die »Bösen«, die Opfer der angeblichen Neutaufe, auf Bauernhöfen außerhalb der Stadt arbeiten mussten und dass deren Erzeugnisse direkt wieder in die Stadt gebracht wurden.
»Du hast gar nichts gestoppt«, sagte Rab und schüttelte müde den Kopf. »Die Stadt kann ohne die Vorräte, die die Spitzel bringen, nicht überleben. Sie kommen mitten in der Nacht, bringen die Lebensmittel, und die Männer des Bruders tragen sie zusammen. Das ist alles, was ich weiß. Das geht schon so lange, wie ich hier bin.«
Lucas stand auf und ihm schossen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Er ging in dem kleinen Raum auf und ab und Rab und Clara beobachteten ihn dabei.
»Okay«, sagte Lucas auf einmal und setzte sich wieder. »Erzähl mir alles, was du über diese Spitzel weißt. Alles.«
Rab verzog das Gesicht. »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, erwiderte er barsch.
Lucas beugte sich weit vor und sah Rab direkt ins Gesicht. »Eine Meile von hier befinden sich sechs Gräber«, sagte er mit leiser Stimme. »Und hier sitzt ein Mädchen, deren Freunde …« Er hielt inne, weil er nicht wollte, dass Clara von den Leichen erfuhr. »… deren Freunde verschwunden sind.«
»Die tot sind, meinen Sie«, warf Clara ein. »Die Fliegen? Die Spaten? Wissen Sie, ich bin nicht blöd. Ich weiß, was Sie da draußen gemacht haben.«
Mit leerem Blick schaukelte sie auf dem Stuhl vor und zurück.
»Die tot sind«, wiederholte Lucas mit etwas ruhigerer Stimme. »Dieses Mädchen hat solche Angst, ebenfalls zu verschwinden, dass sie nicht mehr schlafen und ihre Aufgaben nicht mehr erledigen kann. Sie hat sich nicht getraut, jemandem etwas zu erzählen, weil sie weiß, dass das ihr Todesurteil wäre. Und jetzt erfahre ich, dass schon seit Jahren Fremde unbemerkt in die Stadt gelangen und dort herumlaufen, als ob sie ihnen gehören würde. Sag mir, was du weißt, und zwar sofort.«
Rab seufzte und genehmigte sich noch einen Drink. Er war nervös, und sein Blick huschte durch den Raum, als hätte er Angst, jemand könnte sie belauschen. Dann begann er zu erzählen, den Blick auf Lucas gerichtet. »Wie gesagt, sie kommen schon lange. Vielleicht einmal im Monat. Sie kommen und gehen, und immer bei Nacht.«
Lucas runzelte die Stirn. »Jeden Monat? Und woher kommen sie?«
»Keine Ahnung. Ich habe nur das Tor aufgemacht und bin dann wieder zum Haus zurück, so wie der Bruder gesagt hat.«
Lucas schnitt eine Grimasse, weil er an den verärgerten Blick des Bruders denken musste, als er die Schlüssel der Torwächter konfisziert hatte. »Du hast sie nicht beobachtet?«
Rab sah zu Boden. »Ich sollte sie nicht beobachten.«
»Aber du hast es getan. Du musst es getan haben. Wie viele sind es? Wie sehen sie aus?«
Rab zuckte unbehaglich die Schultern. »Ich habe sie vielleicht ein- oder zweimal gesehen. Bloß ganz flüchtig. Normalerweise sind es zwei oder drei. Mit einem Lastwagen.«
»Und was machen sie?«, wollte Lucas wissen.
»Sie sind ein paar Stunden in der Stadt, laden ihr Zeug ab und verschwinden dann wieder«, sagte Rab barsch. »Ich weiß nicht, was sie machen, und ich weiß auch nicht, warum. Ich weiß nur, dass ich das Tor wieder zumachen muss, wenn sie weg sind. Und mehr will ich auch gar nicht wissen.«
Lucas schüttelte den Kopf. Er versuchte, die Informationen zu verarbeiten und einen Sinn darin zu erkennen. »Nein«, sagte er. »Nein, das nehm ich dir nicht ab. Sie müssen gesehen worden sein. Das System hätte sie entdeckt. Ich hätte sie entdeckt.«
»Diese
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