Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
barsch, herablassend, abweisend. Lucas blieb regungslos liegen. Dieser Mann hatte hier offenbar das Sagen. Vielleicht war es der Arzt. »Und was haben Sie ihm gesagt?«
»Nichts, Sir. Gar nichts.« Die Schwester klang besorgt, ja beinahe ängstlich. Sir, nicht Doktor? Lucas fragte sich, wer der Mann war. »Er kann sich an nichts erinnern. Er weiß nicht mal, wer er ist.«
»Tatsächlich?« Der Mann, oder jemand anders, beugte sich über Lucas. Das Licht hinter Lucas’ Augenlidern veränderte sich. Das grelle Licht, das auf sein Gesicht gerichtet war, wurde jetzt von der Person, die ihn untersuchte, verdeckt. »An sich spielt es keine Rolle. Er ist für uns nicht von Interesse. Wir sollten ihn loswerden.«
»Ihn loswerden?«, fragte die Schwester unsicher.
Eine Weile herrschte Stille. »Ich meine, wir sollten die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen. Er wird sich offensichtlich nicht wieder erholen.«
Der zweite Mann räusperte sich. »Und was ist mit dem Papierkram?«
»Er ist keiner von uns, Sie Idiot. Da braucht es keine Formalitäten«, sagte er ungeduldig.
Wieder herrschte Stille. Dann sagte der zweite Mann mit leiser, kaum vernehmlicher Stimme: »Das entspricht nicht der üblichen Vorgehensweise. Ich weiß, dass Ihre Leute außerhalb des Lagers machen können, was sie wollen, aber hier gibt es Vorschriften. Wir können uns nicht einfach irgendwelcher Leute entledigen.«
»Und ob wir das können«, erwiderte der erste Mann mit drohender Stimme. »Wir tun, was ich für richtig halte. Verstanden?«
»Ja, Sir.«
»Okay.«
Lucas hörte, wie der erste Mann von seinem Bett wegging und diensteifrigen Schrittes den Raum verließ. Als er fort war, räusperte sich der andere Mann. »Mr Weizman möchte, dass wir die lebenserhaltenden Maßnahmen abbrechen. Ich lasse die nötigen Formulare ausfüllen und hole mir die Zustimmung des Direktors. Geben Sie ihm vorerst weiter ein Betäubungsmittel«, wies er die Schwester an.
»Aber er bekommt gar keine lebenserhaltenden Maßnahmen«, flüsterte sie. »Ihm fehlt nichts. Er hat nur eine Kopfverletzung.«
»Das macht es noch schlimmer«, sagte der Mann nach kurzem Zögern. Ein paar Sekunden herrschte Stille. Dann hörte Lucas, wie der Mann tief ausatmete. »Und er ist wirklich in Ordnung?«
»Vollkommen gesund«, erklärte die Schwester.
Der Mann seufzte. »Okay. Geben Sie ihm trotzdem ein Betäubungsmittel.«
»Ja, Doktor.« Lucas spürte etwas Kaltes auf seinem Handrücken. Er versuchte, wach zu bleiben, zu denken, zu überlegen, was er tun sollte. Aber es hatte keinen Zweck. Der Nebelschleier hüllte ihn ein, und seine Glieder wurden so schwer wie Blei.
Linus saß still da, das Fernglas auf das flache weiße Gebäude mit den hellen Lichtern gerichtet. Er war jetzt schon ein ganzes Stück näher beim Lager. Allein war es leichter für ihn, sich zu tarnen. Und Stück für Stück fügte er die Puzzleteile zusammen: Die Begrenzungsmauer, die der Landschaft angepasst war, war durch elektrischen Strom gesichert, um neugierige Tiere abzuhalten. Das Tor war zusätzlich mit Starkstrom gesichert, der ausgereicht hätte, um einen Elefanten zu rösten. Diese Leute hatten bestimmt nicht vor, Gäste zu empfangen. Aber Linus konnte das Sicherheitssystem umgehen. Es war zwar ausgeklügelt, aber es gab nichts, womit Linus nicht fertig wurde. Lucas lag hinter dem dritten Fenster von links in dem weißen Gebäude, in dem Zimmer, wo die ganze Zeit die Jalousien heruntergelassen waren. Linus warf einen Blick nach rechts und sah durch die Fenster der leeren Zimmer, deren Türen weit offen standen und die offenbar nicht gebraucht wurden, wie die Schwester den Korridor entlangging. Warum so viele Zimmer? Für wen waren die bestimmt? Linus hatte so eine Ahnung, aber es war nur eine Theorie.
Linus dachte einen Moment lang nach, dann richtete er das Fernglas wieder auf die Türen in dem Gebäude. In den letzten zwei Tagen hatte er das Lager ständig beobachtet und alles überwacht. Und jetzt war er bereit: Er hatte alles gecheckt: sämtliche Zugangscodes, die täglichen Abläufe, und wer wann was machte. Das Gebäude, in dem sich Lucas befand, hatte einen sechsstelligen Zahlencode. Ausgefallene Technik, aber nichts, womit Linus nicht klarkam. Er könnte Lucas problemlos dort herausholen.
Wenn es so weit war. Im Augenblick gab es für Linus interessantere Orte. Lucas befand sich zwar in dem weißen Gebäude, aber an dem grauen Gebäude dahinter war Linus am meisten interessiert. Dort
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