Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
wie lange ihre Strafe dauern würde, also versuchte sie so gut wie möglich Körper und Geist fit zu halten. Es war schwer, Schlaf zu finden, denn sie hatte kein Bett, nur den nackten Boden. Ein Loch in der Ecke diente als Toilette, doch daraus krochen Kakerlaken und Ratten in ihre Zelle und leisteten ihr Gesellschaft. Die Dunkelheit schärfte ihre Sinne. Ihre Augen gewöhnten sich an die Finsternis, und sie konnte die Ecken ihrer winzigen Zelle ausmachen. Auch ihr Gehör wurde feiner, sie lauschte auf jeden Laut, den der Gecko an der Wand verursachte, auf das Geräusch des Regens und entfernte Stimmen. Auch lernte sie die unterschiedlichen Schritte der Wärter zu unterscheiden.
Minute für Minute, Stunde für Stunde und Tag für Tag ohne jegliche Beschäftigung, rief sie sich ihr altes Zimmer in Brisbane in Erinnerung, wählte ihre Lieblingsmöbel und richtete sich im Geist ihre Zelle damit ein. Inzwischen standen das weiche Bett mit der weißen Marcella-Überdecke, der Frisiertisch mit dem ovalen Spiegel und ihre Sammlung von Porzellantierchen in einer Ecke, und alle geschätzten vierundzwanzig Stunden kam ein weiteres dekoratives Stück dazu.
Sie konnte jetzt auch in den Garten gehen, denn sie hatte inzwischen eine Glastür und eine Veranda an ihre dunkle Zelle angebaut.
Ansonsten rezitierte sie Gedichte, die sie in der Schule gelernt hatte, und sang vor sich hin. Was sie am meisten vermisste, war das Zeichnen, also beschloss sie es sich vorzustellen. Sie setzte sich auf den Boden, schloss die Augen und malte in Gedanken, zuerst mit der rechten Hand, dann mit der linken. Als Rechtshänderin forderte die Aufgabe, allein durch Vorstellungskraft mit links ein Bild zu erschaffen, besondere Konzentration. Sie zeichnete den Garten in Brisbane, die Alleen mit Kautschukbäumen auf Utopia, den versteckten Wasserfall, den ihr Gilbert gezeigt hatte, Straßenszenen aus Ipoh und die Gesichter der Kautschukzapfer. Sie zeichnete Philip, wie er auf Utopia über sein Lieblingsspiel gebeugt saß oder im staubigen Hof des Lagers mit Lumpy. Und nur für den Jungen malte sie ein besonderes Bild von seinem Kuscheltierelefanten. Vielleicht würde sie eines Tages ein Buch schreiben, Die Geschichte von Lumpy, dem blauen Elefanten, und es mit Bildern von ihrem Abenteuer illustrieren.
Es rasselte an der Tür, und Korporal Hashimoto erschien.
»Komm. Major Sakura will mit dir reden.«
Bette hatte keine Ahnung, wie lange sie eingesperrt gewesen war. Das Licht stach in ihren Augen, als sie aus der Zelle stolperte. Sie bemerkte, das Korporal Hashimoto sie immer wieder aus dem Augenwinkel musterte, und ihr war bewusst, dass sie stank und dass ihre Haare verfilzt und strähnig waren. Außerdem hatte sie noch mehr Gewicht verloren. Aber sie wollte jedermann zeigen, dass sie noch Kraft hatte und dass diese Strafe sie nicht gebrochen hatte.
Wieder verbeugte sie sich langsam vor dem Major, richtete sich wieder auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken, straffte die Schultern und hob das Kinn. Sie wollte nicht trotzig wirken, aber sich ebenso wenig vor ihm ducken.
»Du wurdest bestraft. Du wirst nun eine vorbildliche Gefangene sein und den anderen Frauen zeigen, dass sie demütig sein und die Regeln befolgen müssen. Geh.«
Bette verbeugte sich zum Dank und verließ den Raum. Das Sonnenlicht blendete sie, sie hielt sich die Hände vors Gesicht und schwankte. Zu ihrer Überraschung – und vielleicht auch zu seiner – ergriff Korporal Hashimoto ihren Arm, um sie zu stützen. Als sie sich ihrer Hütte näherte, ertönte Geschrei, die Frauen ließen alles stehen und liegen und umringten sie.
»Wo ist Philip?«, fragte Bette.
»Er ist bei Marjorie und den anderen Kindern, es geht ihm gut«, beruhigte Evelyn sie rasch. Dann umarmte sie Bette. »Du musstest das alles nur meinetwegen durchstehen. Danke.«
»Wie geht es dir?«, wollte Bette wissen.
»Mir geht es gut. Aber ich glaube, du solltest dich waschen, bevor Philip dich sieht. Ich habe noch etwas Seife, die kannst du haben.« Behutsam führte Evelyn sie in den Schatten hinter der Küche.
»Du riechst ein bisschen«, stellte Norma fest. »Und du bist dünner geworden.«
Bette hatte sich gerade gewaschen, da kam schon Philip auf sie zugerannt, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen. Er flog ihr in die Arme, und sie hielten sich fest umschlungen. »Geh nie wieder weg«, schniefte er mit tränenerstickter Stimme.
»Das verspreche ich dir. Aber ich musste Tante Evelyn helfen. Jetzt
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