Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
ja verrückt, was passt ihm denn nicht?«, zischte Evelyn.
Ein Soldat mit grimmigem Gesicht stapfte auf Evelyn zu. Hatte er gesehen, dass sie sprach, oder hatte sie sich nicht demütig genug vor dem Kommandanten verbeugt? Mit dem Gewehrkolben schlug er ihr hart auf die Schulter. Sie stieß einen kurzen Schrei aus und fiel zu Boden. Bette und die Frau zu ihrer Rechten wollten ihr helfen, doch Major Sakura und zwei Soldaten, die drohend ihre Gewehre hoben, gaben den Frauen zu verstehen, dass sie besser still standen. Eine der Wachen stieß Marjorie mit dem Gewehrlauf zur Seite und baute sich vor der niedergesunkenen Evelyn auf. Breitbeinig und mit angelegtem Gewehr schrie er, sie solle aufstehen.
Evelyn versuchte es, kam aber einfach nicht auf die Beine. Ein Rinnsal Blut lief aus ihrem Mund. Marjorie begann zu weinen. Die Frauen schwiegen, sie zitterten vor Furcht und Kummer und hielten mühsam die Tränen zurück.
Der Soldat holte aus und trat Evelyn gegen die Rippen.
»Genug! Die Frau kann nicht aufstehen!«, kreischte Bette.
Ihre Kühnheit ließ die Frauen auf dem Platz unwillkürlich nach Luft schnappen.
Ohne auf den Soldaten zu achten, kauerte sie sich neben Evelyn und versuchte sie wieder aufzurichten, doch Evelyns Beine gaben immer wieder nach. Sie sah aus, als würde sie gleich das Bewusstsein verlieren.
»Diese Frau braucht ärztliche Hilfe«, sagte Bette laut. »Wir müssen sie ins Krankenrevier bringen.«
Alle standen wie erstarrt. Bette holte tief Luft und trat auf Major Sakura zu. »Sie sehen doch, dass diese Frau medizinisch versorgt werden muss. Sicherlich möchte der Kaiser von Japan nicht, dass diese Frau in Ihrer Obhut stirbt.«
Major Sakura funkelte Bette an und sagte dann: »Du nimmst sie.«
Mit Hilfe einer anderen Frau verfrachtete Bette Evelyn ins Lagerhospital. In dem Raum waren einige Bambusbetten aufgebaut. Einen Arzt gab es nicht, die Leitung hatte die resolute, ehemalige Oberschwester aus Penang inne. Es gab auch kaum Medikamente, obwohl es hieß, die Japaner hätten mehr als genug. Die beiden Frauen ließen Evelyn hier zurück und gingen wieder auf den Platz. Eine der Wachen befahl Bette auf Englisch, sich unverzüglich im Büro des Majors einzufinden.
»Du brichst Regeln«, sagte er in unheilverkündendem Ton.
»Ja, Korporal Hashimoto, das stimmt.«
Nervös klopfte Bette an Major Sakuras Tür. Als sie eintrat, warf er ihr, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, einen stechenden Blick zu.
»Name?«
Bette verbeugte sich übertrieben tief und langsam, jede Faser ihres Körpers strahlte Verachtung aus. Dann richtete sie sich auf und sah ihm in die Augen. »Bette Oldham, ich komme aus Australien.«
Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Du bist schlecht. Missachtest Regeln. Du sprichst mit mir vor anderen Frauen. Aber du bist nicht die Lagerälteste.« Es folgte ein Schwall japanischer Beschimpfungen, die keinen Zweifel daran ließen, dass Bette in ernsthaften Schwierigkeiten steckte.
»Du musst lernen, weiße Frauen sind nicht wichtig. Nur die Soldaten Seiner Kaiserlichen Hoheit sind wichtig. Japanische Frauen wissen, sie müssen gehorchen. Weiße Frauen müssen das lernen. Du wirst bestraft. Isolationshaft, viele Tage, vielleicht zwei, drei Wochen.«
Bette stockte der Atem. Isolationshaft. Man hatte ihnen damit gedroht, aber die Frauen hatten nicht geglaubt, dass eine solche Strafe wirklich verhängt werden würde. »Nein, warten Sie! Ich muss Philip sehen. Ein kleiner Junge. Ich kann ihn nicht allein lassen. Ich muss es ihm erklären.«
Aber der Major beachtete sie nicht mehr und ließ einen Soldaten kommen, der sie abführen sollte. Der Soldat schüttelte den Kopf und packte ihren Arm, damit sie ihm nicht davonrennen konnte. Als sie zu dem Gebäude für Isolationshäftlinge geführt wurde, sah sie Marjorie und schrie: »Du musst für mich auf Philip aufpassen. Ich muss in Einzelhaft. Keine Ahnung, wie lange. Bitte sag ihm, ich bin bald zurück. Pass auf, dass er genug zu essen bekommt …«
»Aber natürlich, Bette. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um ihn.«
»Sag ihm, ich hätte noch einen Job zu erledigen … irgendetwas …«
Die Dunkelheit setzte ihr am meisten zu. Und natürlich die Trennung von Philip. Bette verlor jedes Zeitgefühl, sie wusste nicht mehr, ob es Tag war oder Nacht. Der Raum hatte keine Fenster, nur einmal am Tag wurde es kurz hell darin, wenn die Tür aufging und sie ihre Schüssel Reissuppe oder gekochten Reis bekam. Sie wusste nicht,
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