Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Woche später hatte sich Philip erholt, aber Bette fragte sich trotzdem, wie lange sie noch so überleben konnten.
Allmählich hatten sie sich an den Alltag hinter Stacheldraht gewöhnt. June, die Lagerälteste, teilte die Frauen für die Arbeitseinsätze ein, organisierte Unterstützung für die Bedürftigen und sorgte so dafür, dass das Leben in Gefangenschaft so reibungslos wie nur eben möglich verlief. Trotz gelegentlicher Gefühlsausbrüche, kleinerer Zankereien und ihrer Klagen waren die Frauen am Abend stolz darauf, wieder einen Tag überlebt zu haben. Viele waren auch stolz, Britinnen zu sein, aber Evelyn meinte zu Bette, dass ihre australische Respektlosigkeit und ihr Sinn für Humor anderen Frauen die Kraft zum Weitermachen gaben.
»Das ist typisch australisch, habe ich gehört«, stimmte Babs zu. »Du gibst nie auf. Du hast vielen von uns wirklich geholfen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sicher, June und Gloria leisten gute Arbeit für uns, aber es ist dein Mumm, der uns Zuversicht gibt.«
Bette deutete auf Philip. »Das liegt an dem kleinen Kerl. Er soll niemals denken, wir kämen hier nicht mehr raus. Wenn jemand ein so unerschütterliches Vertrauen in einen hat, muss man eben stark sein.«
»Der Kleine hat wirklich Glück. Ich hoffe, deine Schwester weiß das«, bemerkte Evelyn.
Bette seufzte. »Ich habe keine Ahnung, wo sie ist, und bete, dass sie es nach Australien geschafft hat. Ich weiß auch nicht, wie es Roland ergangen ist, Philips Vater, oder dem Rest der Familie. Und die arme Margaret weiß wahrscheinlich nicht einmal, wo ihr Sohn ist. Sie muss krank vor Sorge sein. Diese mickrigen Postkarten, die uns die Japaner haben schreiben lassen, sind womöglich nie zu Hause angekommen. Aber mit dieser Ungewissheit bin ich ja nicht die Einzige hier.«
Marjorie hatte ihr Gespräch mitgehört und setzte sich zu ihnen. Sie ergriff die Hand ihrer Mutter. »Glaubst du, dass wir hier jemals wieder rauskommen? Was wird mit uns passieren, wenn der Krieg zu Ende ist? Können wir dann nach Hause?«
Die beiden Frauen schwiegen. Evelyn dachte an ihren Mann. Wenn das alles hier vorbei war, und es musste ja irgendwann vorbei sein, wohin würden sie dann gehen?
»Natürlich werden wir hier rauskommen«, beschwichtigte Bette sie. »Vielleicht werden einige Dinge danach anders sein, aber wenn wir das hier aushalten, kommen wir auch mit allem anderen klar.«
»Wenn wir doch nur wüssten, was draußen geschieht«, murmelte Evelyn. »Hat jemand etwas Neues aus dem Männerlager gehört?«
»Angeblich haben sie ein Funkgerät bei sich versteckt«, flüsterte Bette. »Die Japaner hier wissen wohl genauso wenig wie wir. Dieses Lager ist so abgelegen, die haben uns vielleicht schon alle vergessen.«
»Die Soldaten hier sind genauso Gefangene wie wir, nur unter besseren Bedingungen«, meinte Evelyn. »Ob sie wohl glauben, dass sich das alles hier lohnt?«
»Wenn ich nur wüsste, wo mein Vater ist und wie es ihm geht.« Marjorie machte ein bekümmertes Gesicht.
»Erst vor ein paar Monaten hat deine Mutter eine Nachricht von ihm bekommen. Bestimmt geht es ihm immer noch gut. Und weißt du, was du für deinen Vater tun kannst?« Bette nahm Marjories Hand. »Du musst stark und mutig sein und das hier durchstehen und dich auf den Rest deines Lebens freuen. Du wirst erwachsen. Er wäre so stolz auf dich.«
»Bette hat recht«, lächelte Evelyn und strich ihrer Tochter übers Haar.
In diesem Moment sahen beide Marjorie an, und es fiel ihnen zum ersten Mal auf, dass sie zur Frau wurde. Sie war nun fast fünfzehn, groß und trotz ihrer Magerkeit sehr hübsch. Sie musste ja auch schneller erwachsen werden, als sie es vielleicht unter anderen Umständen getan hätte. Ihre behütete und sorgenfreie Kindheit hatte ein jähes Ende gefunden. Evelyn und Bette wechselten einen Blick. Sie wussten von den Gefahren, denen eine junge Frau im Kriegsgefangenenlager ausgesetzt war. Bette dachte an den japanischen Soldaten, der vor ein paar Monaten angekommen war. Er war lüstern und arrogant. Vor Bette hatte er mit einem anderen Soldaten gesprochen, und es konnte keinen Zweifel geben, dass seine Kommentare anzüglicher Natur waren. Evelyn hatte denselben Gedanken. Zu der Zeit, als die Japaner in Borneo landeten, hatte es Gerüchte über Bordelle gegeben, in denen weibliche Gefangene den Soldaten zu Diensten sein mussten.
Marjorie hatte ihr Haar zu einem Dutt hochgesteckt, eine Frisur, die sie älter machte. Nun löste Evelyn das
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