Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
erklären, was sie selbst für unsinnig
befand. „Was für Gerede?“, wiederholte Emma unbeeindruckt. „Stell
die Teetassen und die Kanne da aufs Tablett!“, wies Mrs. Shaw Martha an, die
einen leichten Knicks machte und sogleich gehorchte. Mrs. Shaw wandte sich Emma
zu. Ihr Gesicht hatte sich gerötet. „Hier in der Einöde“, begann Mrs. Shaw,
„sind die Menschen hungrig nach Neuigkeiten, und schnell wird Gerede daraus. Das
können Sie nicht verstehen.“ „Doch, das verstehe ich.“ Warum hielt Mrs. Shaw
sie für so unbedarft? Nur weil sie zwanzig Jahre älter war als Emma?
Wieder seufzte Mrs.
Shaw. Ihr Blick ruhte auf Emma. Sie schien abzuwägen, ob Emma ein Geheimnis
bewahren könne und ob sie es überhaupt wert sei, dass man ihr etwas Geheimes
anvertraute. Mrs. Shaw schüttelte rasch den Kopf. „Ich habe sie schon jahrelang
vor ihrem ...“ Sie suchte nach dem richtigen Ausdruck. „... vor ihrem
Verschwinden nicht mehr gesehen. Wirklich, ich weiß nicht, was geschehen ist.
Wir haben ja erst durch die Postkarawane erfahren, dass die Missionare
verschwunden sind.“ „Es hieß, auf der Station sei niemand - auch keine
Eingeborenen mehr. Ein paar von unseren Männern sind daraufhin mit Police Officer
Graham hin geritten. Es war tatsächlich niemand da. Officer Graham hat einen
Suchtrupp aus Freiwilligen zusammengestellt, mein Mann war auch dabei, sie
waren vier Tage unterwegs, kamen aber unverrichteter Dinge zurück. Sie haben
keine Spur entdeckt, weder von Hermann Weiß noch von seiner Frau Margarete. Und
die Eingeborenen blieben auch wie vom Erdboden verschwunden.“ Sie runzelte die
Stirn, während sie Emma musterte. „Aber hat man Ihnen das denn nicht alles
schon erzählt?“ „Nein“, sagte Emma mit fester Stimme, obwohl Wut auf Paul in
ihr hochstieg, denn sie war überzeugt, dass er viel mehr wusste, als er ihr
gesagt hatte.
Mrs. Shaw versuchte zu
lächeln, zuckte die Schultern und nahm Martha das Tablett mit dem Teeservice
aus der Hand. „Ich mach’ das schon.“ Und damit verschwand sie in ihrem langen
Rock und der gestärkten hochgeschlossenen Bluse in der Wohnstube. Emma
bemerkte, dass Martha sie verstohlen ansah. Sie war fünfzehn, hatte Mrs. Shaw
gesagt, und sprach ein wenig Englisch.
Ihre Haut war dunkelbraun wie edles Holz und glänzte. Im halblangen Haar
trug sie ein weißes Band. Aus ihrem vollen, runden Gesicht leuchteten die Augen
wie polierte schwarze Steine.
Emma sah in den kleinen ovalen Spiegel, der über dem Tisch hing,
und öffnete ihren Knoten, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten. Gestern
hatte sie lange und ausgiebig ihr Haar gewaschen, das von der Sonne und dem
Staub stumpf geworden war. Jetzt glänzte es wieder, heller als früher. Der Hut
mit der breiten Krempe hatte ihr Gesicht vor der Sonne ganz gut geschützt, es
war nicht verbrannt. Nur eine leichte Tönung hatte es angenommen. Unter ihren
braunen Augen waren die dunklen Ringe verschwunden, die sie gestern Abend noch
bemerkt hatte. Ihre Lippen waren dank der Creme, die sie gestern in „Fogarty’s
Store“ gekauft hatte, wieder glatt. Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu ... und
dachte sofort an Paul, der ihr noch nie ein Kompliment gemacht hatte. Heute
Nacht würden sie nach all den Wochen wieder zusammen in einem Bett liegen, und
er würde mit ihr schlafen wollen. Sie schluckte schwer und vertrieb den
Gedanken daran. Mit kräftigen Strichen bürstete sie ihr Haar und fasste es zu
einem neuen Knoten zusammen.
In einer halben Stunde würde man zum Picknick aufbrechen. Sie
hätte zwar nichts dagegen gehabt, nach drei Wochen draußen in der Hitze in
einem geschlossenen Raum auf einem Stuhl an einem Tisch zu essen, aber sie
waren Gäste, und offenbar wurde ein Picknick als etwas besonders Schönes
geschätzt. Sie legte gerade die Bürste beiseite, da hörte sie lautes
Motorengeräusch und Hupen. Sie stand auf, schob die Gardine zur Seite und sah
hinaus. Das Haus der Shaws stand an der Ecke zur Todd Street, der Hauptstraße,
wenn man den ungepflasterten Weg überhaupt so nennen konnte. Im Hintergrund sah
sie die ausladenden Kronen der alten Eukalyptusbäume und die schroffen Wände
der MacDonnell Ranges. Schräg gegenüber konnte sie das Stuart Arms Hotel
erkennen, das Pub, vor dem ein paar Pferde festgebunden waren, während ihre
Besitzer drinnen Bier tranken. Gestern Abend hatte sie das Gegröle der
Betrunkenen gehört.
Motorengeräusch drang von
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