Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Himmel
– hinter Büschen kamen Kängurus hervor, geradeso als wollten sie uns
begrüßen. Ach, liebe Vera, du kannst dir nicht vorstellen, was es bedeutet,
nach so langer Zeit, während der man nur wenige Menschen um sich hatte und nur
eine karge Natur, endlich wieder in eine STADT zu kommen! Nun ist Stuart keine
Stadt in unserem Sinne. Hier leben gerade mal dreißig Weiße. Die Eingeborenen,
es sollen etwa hundert oder mehr sein, leben draußen, unter den Bäumen oder in
einfachen Hütten. Im trockenen Flussbett sitzen sie in Gruppen zusammen und
machen ihre Lagerfeuer. Hunde streunen herum. Ach, Vera, Du kannst es Dir nicht
vorstellen: Hier in diesem Land treffen zwei Zeitalter aufeinander und stehen
sich mal feindlich, mal unverständig gegenüber.
In Stuart gibt es
ein paar Steinhäuser: ein Pub mit einem Hotel, ein Gefängnis, ein Gerichtshaus,
eine Sattlerei, ein paar wenige Läden und eine Telegrafenstation. Es gibt
jedoch weit und breit keinen Arzt, keine Hebamme! Die Menschen müssen
siebenhundert Kilometer nach Oodnadatta oder noch weiter nach Marree fahren,
wenn sie krank sind.
Die
Telegrafenstation scheint überhaupt das Wichtigste an Stuart zu sein; ich
glaube, deshalb hat man diese Stadt errichtet. Hier werden die Nachrichten, die
aus der Welt nach Port Darwin, das liegt im Norden Australiens, gesendet wurden
und per Überlandleitung nach Adelaide im Süden des Landes weitergeleitet werden
sollen, wiederholt, das heißt, die Signale werden verstärkt, weil sie sich auf
einer so langen Distanz abschwächen, und im schwülen Klima des Nordens könnten
sie verloren gehen. Deswegen unterhält man seit fünfzig Jahren eine Station.
Eine ganze Familie mit Angestellten lebt dort, und die Funkstation muss rund um
die Uhr besetzt sein! Denn jede Nachricht, wirklich jede, muss hier vorbei,
damit dann in den Zeitungen in Adelaide darüber geschrieben werden kann. Ist
das nicht verrückt? Ich denke oft an meinen Vater, das hätte ihn interessiert!
Am Abend unserer Ankunft sind wir von den Shaws, einem lutherischen Ehepaar, eingeladen worden.
Sie waren von Adelaide aus - telegrafisch - auf unsere Ankunft vorbereitet
worden und hatten schon das Gästezimmer hergerichtet. Du kannst dir kaum
vorstellen, welche Freude es mir bereitet hat, endlich ein Bad zu nehmen und
wieder in einem richtigen Bett zu schlafen!
Ich bin nicht
anspruchsvoll und kann sehr gut auch unter einfachen Bedingungen zurechtkommen
- das haben mir die drei Wochen in der Wüste gezeigt -, doch ein richtiges Bett
ist etwas Wunderbares. Was mich
auch beeindruckt hat, ist eine Schule für Weiße und Mischlingskinder, die von
einer gewissen Mrs. Standley geführt wird. Es sind nur drei Baracken hinter dem
Pub, aber die Kinder leben dort unter ganz anderen, viel, viel besseren
Bedingungen als die reinen Eingeborenenkinder, die ich in Marree und Oodnadatta
gesehen habe. Es ist ein Jammer, in welchen Verhältnissen diese Kinder
aufwachsen! Wie sollen sie in
unserer Welt, der Welt der Weißen, je etwas anderes werden als billige, ungebildete
Arbeitskräfte? Mrs. Standley hat mir gesagt, dass sie die Schule erweitern
müssten, da immer mehr Mischlingskinder gebracht würden. Ja, liebe Vera, so ist
das hier, es gibt viele weiße Männer, aber nur wenige weiße Frauen ...
Liebe Vera, es
gibt so viel zu berichten, bitte entschuldige meine Sprunghaftigkeit! Ich
glaube, ich habe mir anfangs keine großen Gedanken über meine Ehe gemacht. Wie
konnte ich das auch? Ich hatte ja gar keine Erfahrung! Inzwischen sind ein paar
Monate vergangen, und ich frage mich, ob es auf der Welt noch jemanden gibt,
der eine solch intensive Zeit miteinander verbracht hat wie Paul und ich? Wir
waren jeden Tag zusammen, sind in eine fremde Welt eingedrungen ... Wie sollte
man da annehmen, dass wir uns ohne Schwierigkeiten verstehen? Einerseits
bewundere ich ihn. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er stets kühlen Kopf
bewahrt. Er ist der geborene Führer, und ich habe nicht den geringsten Zweifel,
dass er für die bevorstehende Aufgabe wie geschaffen ist. Doch wenn ein Mann so
stark und unabhängig und so von seiner Mission überzeugt ist, dann ist er auch
hart und rücksichtslos, und dann braucht er keinen anderen Menschen neben sich
... Ja, das ist auch eine Erfahrung, die ich gemacht habe, und so sehr ich
Pauls Willenskraft und Stärke schätze und bewundere, so bin ich doch traurig,
denn ich fühle mich allein. Er ist
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